McDermid, Val
vielleicht nicht so scheiße vorkommen, wenn er sich nicht an eine
Zeit erinnern könnte, als es anders gewesen war. Die anderen Kids, mit denen er
abhing, schienen nicht so sauer über ihr Leben zu sein wie er, und er dachte,
dass es vielleicht daran lag, dass sie nichts Besseres zum Vergleich kannten.
Ja, klar, sie dachten, sie wüssten, wie es wäre, wenn sie ein protziges Auto
und eine große Bude hätten und Ferien machten, wo jeden Tag die Sonne schien.
Aber das war für sie nur eine Fußballerphantasiewelt. Für Niall nicht. Niall
erinnerte sich, wie es war, all diese Dinge wirklich zu haben.
Vor dieser Wohnung in einer so
miesen Ecke von Manchester, dass man bei Bewerbungen bei der Postleitzahl log,
hatten sie in einem allein stehenden Einfamilienhaus am Rand von Bradfield
gewohnt. Niall hatte ein Schlafzimmer für sich und noch ein Zimmer zum Spielen.
Er hatte eine PlayStation 3 und eine Xbox gehabt. Es hatte einen ganzen Raum mit
Trainingsgeräten und einem Plasmafernseher am Ende des Laufbands gegeben. In
der Garage hatte der Mercedes seines Vaters neben dem Audi seiner Mutter
gestanden. Sie hatten Jahreskarten für Manchester United, waren dreimal im Jahr
ins Ausland in Urlaub gefahren, und Niall schaffte es kaum, die Übersicht über
seine Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke zu behalten.
Vor drei Jahren war dann alles
zusammengebrochen. Seine Mutter und sein Vater hatten sich monatelang wie die East-Enders gestritten. Er begriff nicht,
was das Problem war, aber sie konnten keinen Tag hinter sich bringen, ohne sich
in den Haaren zu liegen. Schließlich war sein Dad mit ihnen zu einem Urlaub nach
Florida gefahren, angeblich, um alles wieder ins Lot zu bringen. Aber am
dritten Abend war er nach einem weiteren Streit aus der gemieteten Villa
davongestürmt. Seine Mum hatte gesagt, zum Teufel mit ihm, sie würden den Rest
der Ferien genießen. Zehn Tage später kamen sie nach Hause zurück und stellten
fest, dass das Haus verkauft war, die Zimmer leer, die Autos weg und die
Schlösser ausgewechselt waren. Er hatte ihnen ihr Zuhause unterm Hintern weg
verkauft und ihre Kleidung in Müllsäcken zu den Eltern von Nialls Mutter in
Manchester gebracht.
Es war unfassbar boshaft. Das
hatte Niall damals gedacht, und dieser Meinung war er immer noch. Seine Mutter
holte sich Rat bei Anwälten, aber das half ihr nicht weiter. Es zeigte sich,
dass das Haus und alles andere der Firma seines Vaters gehörte. Auf dem Papier
war sein Vater ein armer Schlucker. Also waren Niall und seine erbärmliche
Mutter das auch.
Die Fähigkeit seines Vaters zu
reiner Bosheit erstaunte ihn. Eines Nachmittags hatte seine Mutter sich mit ihm
zu dessen Autohaus geschleppt und wollte den Mann so beschämen, dass er ihnen
mehr als die fünfzig Pfund pro Woche gab, die er für Niall abdrückte. Sie
hatten Niall ausgesperrt und bei der ahnungslosen Sekretärin gelassen, während
sie sich in einem anderen Raum anschrien. Aber trotzdem konnte er jedes Wort
hören. »Er ist nicht mal mein Kind«, hatte sein Dad auf dem Höhepunkt des
Streits gebrüllt.
Seine Mum hatte nichts
geantwortet, aber Niall hatte einen lauten Knall gehört, als sei etwas aus Glas
gegen eine Wand geworfen worden. Dann ging die Tür auf, und er sah ein Spinnennetz
aus Sprüngen, wo man durch das große Fenster zum Ausstellungsraum die Reihen
glänzender Wagen hätte sehen sollen. »Komm«, sagte sie, packte ihn am Arm und
ging zur Tür. »Wir wollen sowieso kein Geld von diesem jämmerlichen,
verlogenen Mistkerl.«
Das sagst du, dachte Niall. Wenn er so ein
jämmerlicher, verlogener Mistkerl war, war das doch umso mehr Grund, sein Geld
zu nehmen. Für wen hielt der sich, verdammt noch mal, dass er seine Mutter
hinstellte, als sei sie eine Schlampe, die ein Kind von einem anderen Mann
hatte und es als seines ausgab? Sie war vielleicht eine beschränkte blöde Kuh,
aber er wusste, dass sie keine Nutte war. Nicht wie sein Dad, der alles andere
lieber tun würde, als Geld auf den Tisch legen, um seine Frau und sein Kind zu
unterhalten.
Seinetwegen steckten sie also
in dieser Misere, und es gab keinen Ausweg, bis Niall sich seine eigenen
Möglichkeiten schaffen konnte. Er würde sich da raushalten und dann sein Leben
umkrempeln und seinem Dad zeigen, was für ein Mann er war.
Aber bis dahin saß er in
diesem beschissenen Leben fest, das er hasste. Es gab nur einen kleinen
Hoffnungsschimmer am Ende des Tunnels. Er wollte Russisch lernen, weil er
vorhatte, für einen
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