McEwan Ian
mit der Stahlkappe eines Stiefels traf ihn so in den Hintern, daß er drei, vier Zentimeter in die Luft geschleudert wurde. Allgemeines Wiehern und Glucksen in der Runde. Ein erwartungsfrohes Gefühl breitete sich in der Bar aus und zog immer mehr Soldaten an, doch während die Meute stetig größer wurde, ging den Männern auch der letzte Rest von persönlicher Verantwortung verloren. Großmäulige Unerschrockenheit packte sie. Beifall brandete auf, als jemand eine Zigarette auf seinem Kopf ausdrückte. Sie lachten über sein komisches Japsen. Sie haßten ihn, und er verdiente alles, was ihm passieren konnte. Er war verantwortlich dafür, daß die Luftwaffe sich ungehindert am Himmel bewegen konnte, für jeden Stuka-Angriff, jeden toten Freund. Seine schmale Gestalt verkörperte sämtliche Gründe für die Niederlage einer Armee. Turner nahm an, daß er nichts für den Mann tun konnte, wollte er nicht riskieren, daß man über ihn selbst herfiel. Doch nichts zu tun war einfach unmöglich. Und besser, als nichts zu tun, war mitzumachen. Unangenehm erregt drängte er nach vorn. Jetzt stellte eine Stimme mit klangvollem walisischem Akzent die Frage: »Wo ist die Royal Air Force?«
Es war beinahe unheimlich, daß der Mann nicht um Hilfe rief, daß er sie nicht anflehte, seine Unschuld nicht beteuerte. Schien sein Schweigen nicht Zustimmung zu seinem Schicksal zu bedeuten? War er so blöd, daß ihm nicht mal der Gedanke kam, er könnte sterben? Ordentlich hatte er die Brille zusammengelegt und in seine Tasche gesteckt. Ohne sie war sein Gesicht leer. Wie ein Maulwurf in hellem Sonnenlicht stierte er seine Folterknechte an, den Mund leicht geöffnet, doch eher ungläubig als in dem Versuch, ein Wort hervorzubringen. Er konnte den Schlag nicht sehen, und so traf er ihn mitten im Gesicht. Diesmal war es eine Faust. Als sein Kopf nach hinten flog, krachte ein Stiefel gegen sein Schienbein, und einige anfeuernde Rufe wurden laut, hier und da auch etwas Beifall, als hätte jemand beim Kricket auf dem Dorfanger den Ball seitlich hinterm Tor anständig gehalten. Es wäre verrückt, dem Mann zu Hilfe zu kommen, es wäre eine Schande, es nicht zu tun. Und doch konnte Turner auch die Erregung der Peiniger verstehen, den heimtückischen, ansteckenden Aufruhr. Er selbst könnte jetzt etwas Unerhörtes mit seinem Bowiemesser anstellen und sich die Anerkennung von hundert Männern verdienen. Um diesen Gedanken zu verdrängen, suchte er sich die zwei oder drei Soldaten in dem Kreis aus, die größer oder stärker als er selbst wirkten. Die eigentliche Gefahr aber kam vom Mob, von seiner Überzeugung, im Recht zu sein. Der würde sich nicht mehr um seinen Spaß bringen lassen wollen.
Jetzt war ein Punkt erreicht, an dem derjenige, der den nächsten Treffer landete, etwas Raffiniertes oder Komisches anstellen mußte, wenn er breite Zustimmung ernten wollte. Man konnte förmlich spüren, wie die Männer nach einem beeindrukkenden Einfall suchten. Niemand mochte jetzt einen falschen Ton anschlagen. Und für einige wenige Sekunden hielt diese Hürde sie auf. Doch sehr bald, das wußte Turner aus seiner Zeit in Wandsworth, würde aus dem einzelnen Hieb ein Regen von Schlägen werden. Und dann gab es keinen Weg mehr zurück und für den Mann von der Royal Air Force nur noch ein einziges Ende. Auf seinem Wangenknochen gleich unter dem rechten Auge prangte ein rosiger Fleck. Der Mann hatte die Fäuste ans Kinn gehoben – immer noch die Mütze fest im Griff – und die Schultern eingezogen. Wahrscheinlich wollte er sich durch diese Haltung schützen, doch signalisierte er Schwäche und Unterwerfung, was nur zu heftigerer Gewalt reizen konnte. Wenn er etwas gesagt hätte, irgendwas, hätten sich die Soldaten um ihn herum vielleicht daran erinnert, daß er ein Mensch war und kein Kaninchen, dem man das Fell abzog. Der Waliser – ein kleiner, untersetzter Kerl, einer von den Pionieren – meldete sich wieder zu Wort. Er zog einen Leinengurt aus seiner Tasche und hielt ihn hoch.
»Na, was meint ihr, Jungs?«
Sein exakt kalkulierter, vielsagender Ton deutete Schrecken an, die sich Turner im Augenblick nicht mal vorzustellen wagte. Wenn er noch einschreiten wollte, war jetzt die letzte Gelegenheit. Als er sich aber nach den Unteroffizieren umschaute, hörte er plötzlich ein Gebrüll wie von einem gereizten Stier, und gleich darauf sah er Mace, der durch die wankende, taumelnde Menge pflügte und in den inneren Kreis platzte. Als wäre er Johnny
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