McEwan Ian
entledigen, um so schnell wie möglich wieder ins All Souls College in Oxford zu flüchten. Briony hörte, wie erst Marshall und dann Lola die Worte des Vikars wiederholten, und lauschte angestrengt, ob ihnen ein leiser Zweifel anzumerken war, doch Marshalls Stimme dröhnte ausdruckslos, beinahe trotzig, Lolas klang lieblich und fest. Wie schamlos, wie sinnlich seine Worte vor dem Altar widerhallten, als er sagte: »Mit meinem Leib will ich dich ehren.« »Lasset uns beten.«
Da senkten sich die sieben scharf umrissenen Köpfe, und der Vikar nahm seine Schildpattbrille ab, reckte das Kinn, schloß die Augen und wandte sich in müdem, kummervollem Singsang an die himmlischen Mächte.
»O ewiger Gott, Schöpfer und Bewahrer der Menschheit, der du der Seele Gnade und immerwährendes Leben schenkst, gib deinen Segen diesen deinen Dienern, Mann und Frau…« Der letzte Stein wurde vom Vikar eingefügt, der, kaum war die Brille wieder aufgesetzt, sie feierlich zu Mann und Frau erklärt und die Heilige Dreifaltigkeit angerufen hatte, nach der diese Kirche benannt worden war. Anschließend gab es noch weitere Gebete, einen Psalm, das Vaterunser und zum Schluß eine lange Fürbitte, deren letzte, abschließende Worte in melancholischer Endgültigkeit ausklangen.
»… möge er über euch den Reichtum seiner Gnade ausschütten, euch gebenedeien und segnen, auf daß ihr mit Leib und Seele sein Wohlgefallen findet und bis ans Ende cures Lebens in heiliger Liebe vereint bleibt.«
Im selben Augenblick schüttete die Orgel in hellen Flötentönen einen Konfettiregen quirliger Triolen über sie aus, und der Vikar drehte sich um und schritt vor dem Paar her. Die sieben Familienmitglieder reihten sich hinter ihm ein. Briony, die in der Bank gekniet und getan hatte, als ob sie beten würde, stand auf und sah der Prozession entgegen. Der Vikar war den Hochzeitsgästen bereits einige Schritte vorausgeeilt, da er offenbar etwas unter Zeitdruck stand. Als er aber nach links schaute und die junge Krankenschwester entdeckte, schienen sein herzlicher Blick und sanft geneigter Kopf sie freundlich zu begrüßen und zugleich auch eine gewisse Neugier auszudrücken. Dann eilte er weiter, um eine der hohen Türhälften zu öffnen. Sonnenlicht züngelte in die Kirche, fiel genau dorthin, wo Briony stand, und beleuchtete ihr Gesicht und ihre Haube. Sie wollte zwar wahrgenommen werden, aber so deutlich nun auch wieder nicht. Immerhin würde man sie jetzt nicht übersehen können. Lola, die auf Brionys Seite den Mittelgang heraufkam, war nun auf einer Höhe mit ihr. Den Schleier hatte sie bereits zurückgeschlagen. Die Sommersprossen waren verschwunden, aber ansonsten hatte sie sich kaum verändert. Vielleicht war sie ein bißchen größer geworden, im Gesicht etwas weicher und runder, und die Augenbrauen schienen kräftig ausgedünnt. Briony starrte sie einfach nur an. Sie wollte nichts weiter, als daß Lola von ihrer Anwesenheit wußte und sich fragte, warum sie gekommen war. Das Sonnenlicht blendete Briony, weshalb sie nicht allzu viel erkennen konnte, doch einen Augenblick lang meinte sie ein kurzes, mißvergnügtes Stirnrunzeln auf dem Gesicht der Braut erkannt zu haben. Dann schürzte Lola die Lippen, schaute nach vorn und war gleich darauf verschwunden. Paul Marshall hatte Briony angeschaut, sie aber nicht wiedererkannt, ebensowenig wie Tante Hermione oder Onkel Cecil, die sie mehrere Jahre nicht gesehen hatten. Doch die Zwillinge, die in ihren Schuluniformen, Hosen mit Hochwasser, den Ab
Schluß bildeten, freuten sich aufrichtig über ihren Anblick, deuteten scheinbar erschrocken auf ihre Tracht, rollten die Augen wie zwei Clowns, gähnten und schlugen in gespieltem Entsetzen die Hand vor den Mund.
Dann war sie allein in der Kirche mit dem unsichtbaren Organisten, der zu seinem eigenen Vergnügen weiterspielte. Es ging alles zu rasch, und sie hatte nichts Greifbares erreicht. Sie blieb, wo sie war, und begann, sich ein wenig dumm zu fühlen, zögerte aber, nach draußen zu gehen. Tageslicht und banales Familiengeschwätz würden jeglichen Eindruck verwischen, den sie als gespenstisch angeleuchtete Erscheinung gemacht haben mochte. Außerdem fehlte ihr der Mut zu einer Gegenüberstellung. Wie wollte sie sich ihrem Onkel und ihrer Tante erklären, sie, ein ungebetener Gast? Vielleicht waren sie beleidigt, oder schlimmer noch, sie waren es nicht. Womöglich würden sie ihre Nichte in ein Hotel entführen, zu einem schauderhaften Frühstück mit
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