McEwan Ian
war nur ein heiteres Intermezzo in einer komischen Oper, der Kummer der Zwillinge ein kleines Rührstück und der Zwischenfall in der Küche kaum mehr als das fröhliche Gerangel lebhafter Komparsen.
Als es an ihr war, einen Bericht über die letzten Monate abzugeben, ließ sie sich unwillkürlich von Leons Ton anstecken, doch klang er in ihrem Mund ungewollt sarkastisch. Sie machte die eigenen Anstrengungen auf dem Feld der Genealogie lächerlich, schilderte einen winterlichen Stammbaum, der kahl und wurzellos geblieben war. Großvater Harry Tallis war der Sohn eines Bauern, der Cartwright hieß, seinen Namen aber aus irgendeinem Grund geändert hatte, weshalb sich weder ein Eintrag über seine Geburt noch über seine Eheschließung finden ließ. Und was Clarissa betraf – all diese Stunden zusammengerollt auf dem Bett, das Kribbeln im eingeschlafenen Arm – wenn das nicht das Gegenteil eines Verlorenen Paradieses war –, so wurde ihr die Heldin um so verhaßter, je stärker sich ihre todesfixierte Tugend offenbarte. Leon nickte und schürzte die Lippen; er würde niemals so tun, als ob er wüßte, wovon sie redete, würde sie allerdings auch nie unterbrechen. Sie verlieh diesen Wochen der Langeweile und Einsamkeit einen absurden Anstrich, beschrieb, wie es kam, daß sie bei ihrer Familie war, daß sie meinte, ihre lange Abwesenheit wiedergutmachen zu müssen, und dabei doch nur herausgefunden hatte, daß ihre Eltern und ihre Schwester auf je eigene Weise nicht anwesend waren. Vom großmütigen Halblächeln ihres Bruders ermuntert, probierte sie es mit einigen komischen Einlagen, die sich um ihr tägliches Verlangen nach einer Zigarette drehten; um Briony, die das Plakat abriß; um die Zwillinge vor ihrem Zimmer, jeder mit einer Socke in der Hand; und um ihre Mutter, die sich zum Abendessen ein Wunder der Verwandlung wünschte –, daß Kartoffelsalat aus Bratkartoffeln ward – eine biblische Anspielung, die Leon jedoch entging. Allem, was sie sagte, lag eine Verzweiflung zugrunde, eine Leere oder doch etwas Ausgeschlossenes, Ungenanntes, das sie rascher reden und mit zunehmend weniger Überzeugungskraft immer stärker übertreiben ließ. Die liebenswerte Belanglosigkeit von Leons Leben war ein geschliffenes Konstrukt, seine Seichtheit vorgetäuscht, die Selbstbeschränkung ein Ergebnis unsichtbarer, harter Arbeit sowie seiner Veranlagung, und mit beidem konnte sie nicht konkurrieren. Sie hakte sich bei ihm unter und drückte seinen Arm. Noch so eine Sache: Sanft und charmant war Leon in Gesellschaft, doch faßte sich der Arm im Jackenärmel wie tropisches Hartholz an. Sie dagegen fühlte sich weich und nahezu in jeglicher Hinsicht durchsichtig.
Zärtlich schaute er sie an. »Was ist los, Cee?« »Nichts. Gar nichts.«
»Du solltest wirklich vorbeikommen, bei mir wohnen und dich ein wenig umschauen.«
Jemand lief über die Terrasse, und im Salon gingen die Lichter an. Briony rief nach ihrem Bruder und ihrer Schwester.
Leon rief zurück: »Wir sind hier drüben!«
»Wir sollten hineingehen«, sagte Cecilia. Immer noch Arm in Arm spazierten sie auf das Haus zu. Als sie an den Rosen vorübergingen, fragte sie sich, ob es tatsächlich etwas gab, das sie ihrem Bruder anvertrauen wollte. Jedenfalls würde sie ihm ganz bestimmt nicht gestehen, wie sie sich hier heute vormittag aufgeführt hatte.
»Ich möchte in die Stadt.« Doch noch während sie die Worte aussprach, stellte sie sich vor, wie etwas sie festhielt, wie sie unfähig war, ihre Sachen zu packen oder den Zug zu erwischen. Vielleicht wollte sie überhaupt nicht fort, doch wiederholte sie mit Nachdruck: »Ich würde wirklich gern kommen.«
Ungeduldig wartete Briony auf der Terrasse darauf, ihren Bruder begrüßen zu können. Jemand aus dem Salon redete mit ihr, doch sie gab nur über die Schulter hinweg Antwort. Als sie näher kamen, konnten Cecilia und Leon die Stimme verstehen – es war ihre Mutter, die sich streng zu geben versuchte.
»Ich sage es zum letzten Mal. Du gehst jetzt nach oben und wäschst dich und ziehst dich um!«
Mit einem unentschlossenen Blick auf ihre Geschwister näherte sich Briony der Terrassentür. Sie hielt etwas in der Hand. Leon sagte: »Wir würden dich im Handumdrehen irgendwo unterbringen.«
Als sie im Salon in das Licht mehrerer Lampen traten, war Briony immer noch da, immer noch barfuß und in ihrem schmutzigen, weißen Kleid; ihre Mutter stand in der gegenüberliegenden Tür und lächelte nachsichtig.
Leon streckte die Arme
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