Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
McEwan Ian

McEwan Ian

Titel: McEwan Ian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbitte
Vom Netzwerk:
noch durch.« »Spielst du wieder Hausmütterchen? Weißt du, neuerdings gibt es für Mädchen die unmöglichsten Stellen. Sie können sogar eine Beamtenlaufbahn einschlagen. Das würde dem alten Herrn bestimmt mächtig gefallen.«
»Mit meinem Abschluß würde mich doch niemand nehmen.« »Ach, das kümmert keinen Menschen mehr, wenn dein Leben erst einmal angefangen hat.«
Sie ging mit Leon zum Brunnen, wandte sich zum Haus um, lehnte sich an den Beckenrand und verharrte einen Augenblick schweigend am Ort ihrer Schande. Leichtsinnig, lächerlich, doch vor allem schändlich und beschämend. Nur die Zeit, der züchtige Schleier weniger Stunden, hinderte ihren Bruder daran, sie so zu sehen, wie sie gewesen war. Ein solcher Schutz fehlte ihr bei Robbie. Er hatte sie gesehen, er würde sie immer sehen können, selbst dann, wenn die Zeit den Vorfall zu einem Stammtischwitz verflachte. Wegen der Einladung war sie immer noch wütend auf ihren Bruder, aber sie brauchte ihn, wollte an seiner Freiheit teilhaben, und deshalb drängte sie ihn, ihr das Neuste zu erzählen. In Leons Leben, vielmehr in seiner erzählten Version davon, war niemand böswillig, schmiedete kein Mensch üble Pläne, log oder betrog. Jeder wurde aus noch so geringem Anlaß gelobt, als sei allein seine Existenz Grund genug zum Staunen. Leon erinnerte sich immer an die besten Sprüche seiner Freunde, und seine Anekdoten nahmen die Zuhörer stets für die Menschen und ihre Schwächen ein. Jeder war wenigstens ein »prachtvoller Bursche« oder doch ein »vernünftiger Kerl«, und nie klafften Motiv und äußerer Anschein auseinander. Stieß er bei einem Freund auf ein Rätsel oder einen Widerspruch, fand er dafür immer eine vorteilhafte Erklärung. Literatur und Politik, Wissenschaft und Religion langweilten ihn nicht, weil sie schlicht keinen Platz in seiner Welt hatten, ebensowenig wie Dinge, über die man sich ernsthaft streiten konnte. Er hatte sein Jurastudium nicht abgeschlossen und war glücklich, diese ganze Episode rasch wieder vergessen zu können. Daß er je einsam, gelangweilt oder verzagt war, konnte man sich nur mit Mühe vorstellen; sein Gleichmut schien ebenso grenzenlos wie sein Mangel an Ehrgeiz, und er ging stets davon aus, daß der so war wie er selbst. Trotz seiner Oberflächlichkeit aber war er ein durchaus erträglicher Mensch, manchmal sogar ein wahrer Trost. Zuerst redete er von seinem Ruderklub. Er war vor kurzem Schlagmann im zweiten Achter geworden, und obwohl Im alle nett behandelt hatten, wäre er doch glücklicher, wenn jemand anderes das Tempo angeben würde. Selbst in 1er Bank hatten sie irgendwas von einer Beförderung verlauten lassen, doch als nichts daraus wurde, war er darüber sogar erleichtert. Und dann die Frauen: Mary, die Schauspielerin, die in Noël Cowards Private Lives so phantastisch gewesen und plötzlich nach Glasgow verschwunden war, ohne daß jemand den Grund dafür gekannt hätte. Er vermutete, daß sie sich um eine sterbende Verwandte kümmern mußte. Mit Francine wiederum, die so ein wunderbares Französisch sprach und deren Monokel stets für Aufsehen sorgte, war er letzte Woche in der Oper, und in der Pause hatten sie den König gesehen, der in ihre Richtung zu blicken schien. Die reizende, verläßliche, allgemein beliebte Barbara, die er – ginge es nach Jack und Emily – heiraten würde, hatte ihn eingeladen, eine Woche im Schloß ihrer Eltern in den Highlands zu verbringen. Er fand, nur ein Flegel könnte so etwas ausschlagen.
Sobald sein Redefluß zu versiegen drohte, stachelte ihn Cecilia mit neuen Fragen zu weiteren Geschichten an. Seine Miete im Albany war unerklärlicherweise gesunken. Ein alter Freund hatte eine lispelnde Frau geschwängert, sie daraufhin geheiratet und führte heute ein überaus glückliches Leben. Ein anderer Freund hatte sich ein Motorrad zugelegt. Und der Vater eines weiteren Freundes hatte sich eine Staubsaugerfabrik gekauft und gesagt, sie sei die reinste Lizenz zum Gelddrucken. Irgend jemandes Großmutter war ein tapferer Stecken, weil sie eine halbe Meile weit mit einem gebrochenen Bein gelaufen war. Lieblich wie die Abendluft plätscherte dies Gerede dahin und beschwor eine Welt mit Happy-End und lauter guten Vorsätzen herauf. Schulter an Schulter, halb sitzend, halb stehend, betrachteten sie das Haus ihrer Kindheit, dessen wirre architektonische Anspielungen auf das Mittelalter ihnen nun wie launische, unbekümmerte Zitate erschienen; die Migräne ihrer Mutter

Weitere Kostenlose Bücher