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McEwan Ian

McEwan Ian

Titel: McEwan Ian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbitte
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der Stadt. Es wurde Zeit für den nächsten Schritt. Sie brauchte ein Abenteuer. Da gab es die Einladung von Onkel und Tante, sie nach New York zu begleiten. Tante Hermione war in Paris. Sie könnte nach London ziehen und sich eine Stelle suchen – zumindest würde sie dann die Erwartung ihres Vaters erfüllen. Freudige Erregung, das war es, was sie empfand, nicht Ruhelosigkeit; und sie wollte nicht zulassen, daß dieser Abend sie enttäuschte. Es würde andere Abende wie diesen geben, doch um sie genießen zu können, würde sie woanders sein müssen.
Von dieser neuen Gewißheit gestärkt – die Wahl des richtigen Kleides hatte ein übriges getan –, schritt sie durch die Eingangshalle, stieß die filzbespannte Tür auf und ging über den im Schachbrettmuster gefliesten Flur in die Küche. Sie drang in eine Wolke vor, in der körperlose Gesichter auf unterschiedlichen Höhen hingen wie Skizzen im Zeichenblock eines Malers, und alle Augen blickten hinab zu dem, was sich auf dem Küchentisch befand und durch Bettys breiten Rücken vor Cecilia verborgen blieb. Das zartrote Glühen auf Knöchelhöhe war das Kohlefeuer im Doppelherd, dessen Klappe in ebendiesem Augenblick mit lautem Scheppern und einem erbosten Fluch zugeschlagen wurde. Dichter Dampf stieg aus einem Kessel kochenden Wassers auf, um den sich niemand zu kümmern schien. Doll, die Küchenhilfe, ein mageres Mädchen aus dem Dorf, dessen Haar zu einem strengen Knoten aufgesteckt war, stand am Becken und wusch unter mißgelauntem Geklapper die Topfdeckel ab, doch auch sie hatte sich halb umgedreht, um zu sehen, was sich vor Betty auf dem Tisch befand. Eines der Gesichter gehörte Emily Tallis, ein anderes Danny Hardman, ein drittes dessen Vater. Da Jackson und Pierrot offenbar auf Stühlen standen, schwebten ihre Köpfe mit feierlichen Mienen über den anderen. Cecilia spürte den Blick des jungen Hardman auf sich ruhen. Sie funkelte ihn wütend an und gab sich erst zufrieden, als er die Augen niederschlug. Es war ein langer, harter Tag in der heißen Küche gewesen, der überall seine Spuren hinterlassen hatte: Fettspritzer vom Braten und breit getretene Gemüseschalen machten die Fliesen glitschig; tropfnasse Geschirrtücher, Andenken an heroische, doch schon vergessene Mühen, hingen schlaff über dem Herd wie vergilbende Regimentsfahnen in einer Kirche, und Cecilias Schienbein stieß an einen übervollen Korb mit Gemüseabfällen, die Betty für ihre Gloucester Old Spot, eine für den Dezember gemästete Sau, mit nach Hause nehmen wollte. Die Köchin blickte über die Schulter, um zu sehen, wer gekommen war, und ehe sie sich wieder umdrehen konnte, erkannte Cecilia die Wut in diesen Augen, die vom gallertartigen Backenspeck zu schmalen Schlitzen verengt wurden.
»Nimm ihn runter!« schrie Betty. Ihr Zorn richtete sich eindeutig gegen Mrs. Tallis. Doll sprang vom Becken zum Herd, schlitterte, wäre fast ausgerutscht, schnappte sich zwei Lappen und zog den Kessel vom Feuer. Die Sicht klarte auf und ließ Polly zum Vorschein kommen, das Zimmermädchen, von dem jeder behauptete, es sei etwas unbedarft, das aber immer länger blieb, wenn es etwas zu tun gab. Ihre vertrauensvollen, weitaufgerissenen Augen stierten ebenfalls auf den Tisch. Cecilia schob sich an Betty vorbei, um selbst sehen zu können, was alle sahen – ein riesiges, schwarz angelaufenes, soeben erst aus dem Ofen gezogenes Blech mit einem Berg gebackener Kartoffeln, die immer noch leise vor sich hin brutzelten. Es mußten mindestens hundert sein, Reihen blaßgoldener Buckel, in die Betty mit einem Blechlöffel stieß, um dort herumzukratzen und hier etwas abzuschaben. Die Unterseite bedeckte eine klebrige, dunkelgelbe Kruste, vereinzelt hatte sich eine glänzende Kuppe zu bernsteinfarbenem Braun verfärbt, und an manchen Stellen war um zerplatzte Haut ein filigranes Netz aufgeblüht. Sie waren einfach vollkommen oder würden es doch bald sein.
Als Betty die letzten umgedreht hatte, fragte sie: »Und daraus sollen wir jetzt einen Kartoffelsalat machen, Ma’am?«
»Ganz genau. Schneid ab, was verbrannt ist, wisch das Fett ab, gib die Kartoffeln in die große toskanische Schüssel, und spar nicht mit dem Olivenöl, dann…« Emily wies mit unbestimmter Geste auf einen Obstkorb neben der Tür zur Speisekammer, in dem sich vielleicht auch eine Zitrone finden würde.
Zur Decke gewandt fragte Betty: »Und wollen Sie auch einen Rosenkohlsalat?«
»Also wirklich, Betty!«
»Einen Salat aus

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