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McEwan Ian

McEwan Ian

Titel: McEwan Ian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbitte
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nahmen sie ihn manchmal auf den Arm. Wenn sie auf der Straße marschierten oder querfeldein liefen und er allzu lange schwieg, fragte Mace irgendwann:
»Na, Boss, denkste wieder an deine Mieze?« Und Nettle fiel ein: »Klar, Mann, verdammt, genau das macht er.« Sie waren Großstädter, die fürs Land nichts übrig hatten und sich dort verloren fühlten. Kompaßnadeln sagten ihnen nichts. Diesen Teil der Grundausbildung mußten sie irgendwie verpaßt haben. Sie hatten beschlossen, daß sie Robbie Turner brauchten, wenn sie es bis zur Küste schaffen wollten, aber einfach war es nicht für sie. Er benahm sich wie ein Offizier, hatte aber nicht einen einzigen Streifen. Als sie an ihrem ersten Abend im Fahrradschuppen einer ausgebrannten Schule übernachteten, hatte Unteroffizier Nettle gefragt: »Wie kommt es eigentlich, daß sich ein einfacher Schütze wie ein feiner Pinkel benimmt?« Er schuldete ihnen keine Erklärung. Er hatte vor zu überleben, er hatte einen guten Grund zu überleben, und ihm war es egal, ob sie hinter ihm herliefen oder nicht. Beide Männer hatten noch ihre Gewehre, immerhin. Und Mace war ein Riese mit kräftigen Schultern und Händen, die gut anderthalb Oktaven auf dem Kneipenklavier umspannen konnten, auf dem er daheim spielte. Ihre Sticheleien machten ihm nichts aus. Während sie dem Pfad folgten und die Straße hinter sich ließen, wollte er nur so rasch wie möglich das Bein vergessen. Ein Weg mündete in ihren Pfad, der zwischen zwei Feldsteinmauern hindurch in ein Tal führte, das von der Straße aus nicht zu sehen gewesen war. Den braunen Fluß in der Talsohle überquerten sie auf Trittsteinen in einem dicken Teppich aus etwas, das wie winzige Wasserkresse aussah.
Ihr Weg wand sich nach Westen, als sie, immer noch zwischen alten Mauern, aus dem Tal aufstiegen. Vor ihnen besann der Himmel ein wenig aufzuklaren, dann glühte er wie eine Verheißung. Alles andere war grau. Als sie durch einen Kastanienhain gingen und sich dem Talende näherten, schob sich die versinkende Sonne unter der Wolkendecke hervor, tauchte das Land in helles Licht und blendete die drei ihr entgegenziehenden Soldaten. Wie schön es doch gewesen wäre, einen Tagesausflug aufs französische Land mit einem Spaziergang in die untergehende Sonne zu beenden. Stets etwas sehr Hoffnungsvolles.
Als sie den Kastanienhain hinter sich lassen wollten, hörten sie Bomber kommen, also gingen sie wieder zurück, rauchten und warteten unter den Bäumen. Von dort konnten sie keine Flugzeuge sehen, hatten aber eine herrliche Aussicht. Es ließ sich kaum Hügel nennen, was sich dort so weitläufig vor ihnen ausdehnte. Das waren höchstens Bodenwellen, schwache Ausläufer mächtiger, in weiter Ferne geschehener Umbrüche. Jede folgende Erhebung war fahler als die vorangegangene. Die graublaue Dünung, die sich vor der untergehenden Sonne in bloßen Dunst zu verlieren schien, glich einer orientalischen Porzellanmalerei.
Eine halbe Stunde später liefen sie diagonal einen etwas steileren Hang hinab, der sie weiter nach Norden und schließlich in ein neues Tal mit noch einem kleinen Fluß führte. Diesmal war die Strömung ein wenig kräftiger, und sie gingen auf einer dick mit Kuhmist gepflasterten Steinbrücke auf die andere Seite. Die Unteroffiziere, die nicht so müde waren wie er, machten sich einen Jux und taten, als würden sie sich vor der Brücke ekeln. Einer warf ihm sogar einen trockenen Fladen in den Rücken. Turner sah sich nicht einmal um. Die Tuchfetzen, dachte er gerade, könnten zu einem Kinderschlafanzug gehört haben. Dem eines Jungen. Manchmal kamen die Sturzkampfbomber schon kurz nach Anbruch der Morgendämmerung. Er mußte die Gedanken verdrängen, aber sie ließen ihn nicht los. Ein französischer Junge in seinem Bett. Turner wollte eine möglichst große Entfernung zwischen sich und dieses ausgebombte Landhaus legen, denn jetzt verfolgten ihn nicht bloß das deutsche Heer und die deutsche Luftwaffe. Hätte der Mond geschienen, wäre er gern die ganze Nacht weitergelaufen. Den Unteroffizieren würde das nicht gefallen. Vielleicht sollte er sich langsam wieder von ihnen trennen.
Von der Brücke flußabwärts gesehen stand eine Reihe Pappeln, deren Wipfel hell im letzten Tageslicht flirrten. Die Soldaten gingen aber in die andere Richtung. Bald wurde der Weg wieder zum Pfad und ließ den Fluß hinter sich zurück. Sie schlängelten und zwängten sich durch Gebüsch mit fetten, glänzenden Blättern. Außerdem waren da

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