Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
McEwan Ian

McEwan Ian

Titel: McEwan Ian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbitte
Vom Netzwerk:
noch Krüppeleichen, die kaum ihr erstes Grün trugen. Das Unterholz roch feucht und süß, und er dachte, daß mit dieser Gegend irgendwas nicht stimmen konnte, weil sie so anders war als das, was sie bislang gesehen hatten.
Weiter vorn hörten sie das Summen von Maschinen. Es wurde lauter, wütender und erinnerte an die Hochgeschwindigkeitsumdrehungen von Schwungrädern oder an elektrische Turbinen, die mit irrsinnigem Tempo arbeiteten. Sie betraten einen großen Saal voller Lärm und Energie.
»Bienen!« rief er, mußte sich aber umdrehen und noch einmal rufen, damit sie ihn hörten. Es wurde schon dunkel. Er kannte die alten Erzählungen. Blieb eine im Haar hängen und stach zu, verschickte sie im Tod eine chemische Nachricht, und alle, die sie erhielten, eilten herbei, um an derselben Stelle zu sterben. Allgemeiner Stellungsbefehl! Bei dem, was sie durchgemacht hatten, war das fast eine Beleidigung. Sie zogen die Mäntel über die Köpfe und rannten durch den Schwärm. Immer noch von Bienen verfolgt, kamen sie an einen stinkenden Abwassergraben, den sie auf einem wackligen Brett überquerten. Dann sahen sie eine Scheune, hinter der plötzlich alles wieder friedlich war. Vor ihnen lag ein Bauernhof. Kaum hatten sie ihn betreten, begannen Hunde zu bellen, und eine alte Frau lief ihnen entgegen und wedelte mit den Händen, als wären sie Hühner, die sie verscheuchen wollte. Die Unteroffiziere verließen sich ganz auf Turners Französisch. Er ging ihr einige Schritte entgegen, dann wartete er, bis die Alte nahe genug herangekommen war. Man erzählte sich Geschichten von Zivilisten, die Flaschen Wasser für zehn Franc verkauften, aber er selbst hatte das nie erlebt. Die Franzosen, soweit er sie kennengelernt hatte, waren entweder großzügig oder viel zu sehr mit ihrem eigenen Kummer beschäftigt gewesen. Die Frau wirkte energisch und doch irgendwie gebrechlich. Sie hatte ein knorriges Mann-im-MondGesicht und starrte die Männer wütend an. Mit scharfer Stimme rief sie:
C’est impossible, M’sieu. Vous ne pouvez pas rester ici. »Wir bleiben in der Scheune. Wir brauchen Wasser, Wein, Brot, Käse und was Sie sonst noch erübrigen können.«
Impossible!
Leise sagte er: »Wir haben auch für Frankreich gekämpft.« »Sie können hier nicht bleiben.«
»Bei Morgengrauen verschwinden wir wieder. Die Deutschen sind noch…«
»Die Deutschen sind mir egal, M’sieu. Es geht um meine Söhne. Das sind Tiere. Und die kommen gleich zurück.«
Turner drängte sich an der Frau vorbei und ging zur Pumpe, die in der Ecke vom Hof in der Nähe der Küche stand. Nettle und Mace folgten ihm. Ein etwa zehnjähriges Mädchen, das seinen kleinen Bruder an der Hand hielt, schaute ihm von der Tür aus zu. Als er fertig war und seine „Wasserflasche gefüllt hatte, lächelte er die Kleine an. Sie floh ins Haus. Die Unteroffiziere beugten sich gemeinsam unter die Pumpe, tranken gleichzeitig. Plötzlich stand die Frau hinter Robbie Turner und packte ihn beim Ellbogen, aber bevor sie wieder anfangen konnte, sagte er: »Bitte holen Sie uns, um was ich Sie gebeten habe, sonst kommen wir und nehmen es uns.«
»Meine Söhne sind Bestien. Die bringen mich um.«
Am liebsten hätte er »Sollen sie doch« gesagt, aber er ließ sie einfach stehen und rief ihr über die Schulter zu: »Ich rede mit ihnen.«
»Dann bringen sie Sie auch um, M’sieu. Sie reißen Sie in Stücke.«
    Unteroffizier Mace war in derselben Nachschubeinheit Koch gewesen wie Unteroffizier Nettle. Doch ehe er Soldat wurde, hatte er als Lagerist bei Heal’s in der Tottenham Court Road gearbeitet. Er behauptete, sich in Sachen Bequemlichkeit auszukennen, und in der Scheune machte er sich gleich daran, ihr Quartier einzurichten. Turner hätte sich einfach ins Stroh fallen gelassen. Mace fand einige Säcke, stopfte sie mit Nettles Hilfe aus und machte ihnen drei Matratzen zurecht. Aus Heuballen, die er mit einer Hand herunterhob, wurden Kopfenden, und eine Tür wurde auf Ziegelsteinen aufgebockt und zum Tisch umfunktioniert. Er fischte eine halbe Kerze aus seiner Tasche.
    »Wenn schon, dann können wir es uns auch richtig gemütlich machen«, sagte er leise. Es war das erste Mal, daß er etwas anderes als irgendwelche schweinischen Bemerkungen von sich gab. Die drei Männer lagen auf ihren Betten, rauchten und warteten. Jetzt, da sie nicht mehr durstig waren, drehten sich ihre Gedanken ums Essen, das ihnen gleich gebracht werden sollte, und sie hörten ihre Mägen im Halbdunkel

Weitere Kostenlose Bücher