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McEwan Ian

McEwan Ian

Titel: McEwan Ian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbitte
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grummeln und grollen und mußten lachen. Turner erzählte ihnen von seinem Gespräch mit der Alten und was sie über ihre Söhne gesagt hatte.
»Bestimmt Fünfte Kolonne«, sagte Nettle. Neben seinem Freund wirkte er fast wie ein Zwerg, doch hatte er die scharfgeschnittenen Züge eines kleinen Mannes und ein freundliches Frettchengesicht, ein Eindruck, der noch dadurch verstärkt wurde, daß die oberen Zähne meist an der Unterlippe knabberten.
    »Oder französische Nazis. Sympathisanten der Deutschen. So wie bei uns die Mosley-Heinis«, sagte Mace.
    Eine Weile schwiegen sie, dann fügte Mace noch hinzu: »Oder die sind bekloppt vor lauter Inzucht, so wie alle auf dem Land.« »Jedenfalls«, sagte Turner, »solltet ihr lieber eure Waffen nachsehen und griffbereit halten.«
Sie folgten seinem Rat. Mace zündete die Kerze an, und routiniert machten sie sich an die Arbeit. Turner überprüfte seine Pistole und legte sie neben sich. Als die Unteroffiziere fertig waren, lehnten sie ihre Lee-Enfields an eine Holzkiste und machten es sich wieder auf ihren Betten bequem. Bald darauf kam das Mädchen mit einem Korb. Es setzte ihn an der Scheunentür ab und verschwand wieder. Nettle holte ihn, und sie breiteten seinen Inhalt auf ihrem Tisch aus. Ein runder Laib dunkles Brot, ein kleines Stück Weichkäse, eine Zwiebel und eine Flasche Wein. Das harte Brot ließ sich kaum schneiden und schmeckte schimmlig. Der Käse war gut, aber in Sekunden verschwunden. Die Flasche wurde herumgereicht und war auch bald leer. Also kauten sie an dem altbackenen Brot und aßen die Zwiebel.
    Nettle sagte: »Das würde ich nicht mal meinem verdammten Köter hinwerfen.«
    »Ich geh rüber«, sagte Turner, »und besorg uns was Besseres.«
»Wir kommen mit.«
Doch vorläufig blieben sie wortlos auf ihren Betten liegen. Noch hatte keiner so richtig Lust, sich mit der alten Schachtel anzulegen.
Dann hörten sie Schritte, drehten sich um und sahen zwei Männer im Tor stehen. Sie hielten etwas in ihren Händen, Knüppel, vielleicht auch Flinten. Im Dämmerlicht ließ sich das nicht genau erkennen, ebensowenig wie die Gesichter der französischen Brüder.
Eine leise Stimme sagte: »Bonsoir, Messieurs. «
»Bonsoir. «
Turner erhob sich von seinem Strohbett und griff nach der Pistole. Die Unteroffiziere schnappten sich die Gewehre. »Ruhig Blut«, flüsterte er.
»Anglais? Belges?«
»Anglais.«
»Wir haben hier was für Sie.«
»Und das wäre?«
»Was erzählt der denn da?« fragte einer der Unteroffiziere. »Er sagt, er hätte was für uns.«
»Verdammte Scheiße.«
Die Männer kamen einige Schritte näher und hoben hoch, was sie in den Händen hielten. Bestimmt Schrotflinten. Turner entsicherte und hörte, wie Mace und Nettle es ihm nachtaten. »Immer mit der Ruhe«, murmelte er.
»Legen Sie die Waffen beiseite, Messieurs.«
»Sie zuerst.«
»Warten Sie einen Augenblick.« Der Mann, der gesprochen hatte, griff in seine Jackentasche. Er holte eine Taschenlampe heraus, leuchtete aber nicht die Soldaten, sondern seinen Bruder und das an, was er in der Hand hielt. Ein Baguette. Und dann das, was in der anderen Hand war: ein Leinenbeutel. Schließlich richtete er das Licht auf die beiden Brote, die er selbst trug.
»Außerdem haben wir noch Oliven, Käse, Pâté, Tomaten und Schinken. Und natürlich Wein. Vive l’Angleterre. «
»Äh, Vive la France. «
Sie setzten sich an den Tisch von Mace, den die Franzosen, Henri und Jean-Marie Bonnet, ebenso höflich wie ihre Matratzen bewunderten. Sie waren untersetzte, stämmige Männer um die Fünfzig. Henri trug eine Brille, was, wie Nettle fand, bei einem Bauern ziemlich seltsam aussah. Turner übersetzte das nicht. Für den Wein hatten die Franzosen auch Gläser mitgebracht, und die fünf Männer stießen auf die französische und die britische Armee an, danach auf eine vernichtende Niederlage der Deutschen. Die Brüder sahen den Soldaten beim Essen zu. Durch Turner teilte Mace ihnen mit, daß er noch niemals Gänseleberpastete probiert, ja, noch nicht mal von ihr gehört habe, und daß er von heute an nichts anderes mehr essen wolle. Die Franzosen lächelten, doch wirkten sie ziemlich erschöpft und hatten offenbar keine rechte Lust, sich zu betrinken. Sie sagten, sie seien mit ihrem Viehlaster, einem Tieflader, den weiten Weg bis zu einem Dörfchen in der Nähe von Arras gefahren, um eine junge Kusine und ihre Kinder zu suchen. Es habe eine große Schlacht um die Stadt gegeben, doch wüßten sie nicht, wer

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