McJesus
bekämpfen.« Um die Sache für den leidgeprüften Angehörigen nicht noch schlimmer zu machen, verzichtete Dr. Wu auf den Hinweis, dass das Krankenhaus fünftausend Dollar pro Kubikzentimeter des neu patentierten Antibiotikums berechnete.
Dan war wie vor den Kopf geschlagen. Er hörte kein Wort von dem, was Dr. Wu sagte. Es saß nur da und dachte an Michael. Tausend Erinnerungen und Bilder gingen ihm durch den Kopf. Er dachte daran, wie sie sich in ihrer elenden Kindheit gegenseitig beschützt und aufeinander aufgepasst hatten, so gut sie konnten.
Dr. Wu merkte, dass Dan ihm nicht zuhörte, aber er fuhr mit seiner Erklärung fort. »Nachdem das Antibiotikum die Infektion nicht eindämmte, machten wir eine Laparotomie. Die Resektion des Dickdarms und der distalen Bauchspeicheldrüse dauerte ungefähr fünf Stunden.« Dr. Wu blickte wieder auf die Unterlagen auf seinem Schreibtisch und wunderte sich, dass sie im Stande waren, eintausendfünfhundert Dollar pro Stunde plus einige dicke Honorare für die Chirurgen zu verlangen.
Dan begann zu weinen, als er sich an den Tag erinnerte, an dem er erfuhr, dass sein Vater ihn, seinen Bruder und seine Mutter verlassen hatte. Zu dem Zeitpunkt war sein Vater bereits ohne eine Erklärung eine ganze Woche nicht mehr nach Hause gekommen. Dann, eines Nachmittags, klingelte das Telefon.
Dan nahm gleichzeitig mit seiner Mom den Hörer ab. Er sagte nichts. Er hörte nur zu. Der Anrufer war sein Vater, und er sagte, er habe endgültig genug. Er werde nicht mehr zurückkommen. »Aber was ist mit den Jungen?«, hatte Ruth gefragt.
»Die kannst du behalten«, antwortete er. »Ich will sie ganz bestimmt nicht.« Und dann legte er auf.
Das waren die letzten Worte, die Dan von seinem Vater gehört hatte. Und er hatte sie Michael gegenüber nie erwähnt. Er hatte das für sich behalten. Er sagte zu Michael nur, dass ihr Vater nicht zurückkommen würde. Die beiden Jungen schworen sich, dass sie besser sein würden als ihr Vater und dass sie sich um ihre Mutter kümmern würden.
Während sich Dan die Tränen aus dem Gesicht wischte, fuhr Dr. Wu fort. »Nach der Operation sank Dans Sauerstoffsättigung rapide ab. Wir befürchteten eine Lungenembolie. Deshalb machten wir eine Lungenszintigrafie, eine Angiografie und einen notfallmäßigen Bypass mit Herz-Lungen-Maschine, um das Blutgerinnsel zu entfernen.« Es waren alles kostspielige Behandlungen.
Dan erinnerte sich, dass seine Mom einmal so unter ihrer Depression litt, dass sie nicht aufstehen konnte. Nachdem Dan und Michael etliche Mahlzeiten ausgelassen hatten, begriffen sie, dass sie sich selbst etwas kochen mussten. Also taten sie, als würden sie ihr eigenes Restaurant führen. Dan erfand ein Menü, während Michael Speck und Eier briet und Kakaopulver darüber streute. Sie gaben sich vier Sterne auf der Güteskala und schworen, das Rezept streng geheim zu halten.
Dr. Wu war in seine Welt ebenso versunken wie Dan in die seine. »Bedauerlicherweise«, sagte der Arzt, »konnte Dan nicht von der extrakorporalen Zirkulation entwöhnt werden und benötigte die Unterstützung durch eine künstliche Lunge, was zu einer unkontrollierbaren Blutung führte. Wir gaben ihm alles, was wir an Konserven in seiner Blutgruppe hatten.« Dr. Wu wies auf den Bericht auf seinem Schreibtisch. »Und irgendwann dazwischen musste ein Luftröhrenschnitt gemacht werden, weil es Probleme mit der Atmung gab. Dann war er eine Weile auf der Intensivstation, wo wir ihn intravenös mit herzkraftstützenden Medikamenten versorgten.«
Dan fuhr sich über die feuchten Augen, während er sich an den Abend erinnerte, als seine Mom ihnen erklärte, sie müssten aus ihrem Haus ausziehen. Sie sagte, sie könnten es sich nicht mehr leisten. Als sie dann in ihrem kleinen düsteren Schlafzimmer ihre Sachen zusammenpackten, hatte Dan angefangen zu weinen. »Ich habe Angst«, sagte er. »Warum müssen wir ausziehen?«
Michael hörte auf zu packen und setzte sich neben ihn. »Ich weiß es nicht«, sagte er, »aber es wird schon alles richtig werden.« Er legte den Arm um Dan. »Solange wir zusammen sind, kann uns nichts passieren.«
Dr. Wu blätterte die Seite um, las weiter und blickte kurz auf, wobei er beinahe verlegen wirkte. »Es kommt noch schlimmer. Ein Internist, der einige Zeit in der Dritten Welt gearbeitet hat, diagnostizierte Tetanus. Das erklärte natürlich die Muskelsteife, die Schluckstörung, die überreagierenden Reflexe und Schweißausbrüche, aber
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