McJesus
Vormittag verlassen, weil sie das Gefühl hatte, weder erwünscht noch willkommen zu sein. Seit zwei Tagen hatte sie Michael nicht mehr gesehen, und sie befürchtete, dass er sie einfach bei fremden Leuten zurückgelassen hatte. Sie war schon einmal verlassen worden und nicht bereit, dieses Schicksal noch einmal zu erleiden. Deshalb war sie aus dem Care Center weggegangen, um zu ihrem alten Heim zurückzukehren, wo sie Freunde hatte. Aber sie verirrte sich unterwegs. Stundenlang war sie durch die Straßen gelaufen, bevor sie im »Fernando« einkehrte. Etwas an dem Lokal hatte sie angelockt, vielleicht, weil es so aussah, als könnte sie dort jemandem begegnen, der auch allein war.
Während sie sich langsam auf der Tanzfläche drehte, kehrte Ruth in ihre Jugend zurück. Sie war von vielen Männern zum Tanzen aufgefordert worden. Sie fragte sich, wo die Männer von damals … wo jene Zeiten geblieben waren. Sie schloss die Augen und war dankbar für die Hand des Mannes auf ihrem Rücken und dass ihre Hand in seiner Hand lag. Es war schon sehr lange her, dass ein Mann sie so oder anders gehalten hatte.
Dan konnte nicht schlafen. Zu vieles ging ihm durch den Kopf. Seine ganze Welt drohte zusammenzubrechen, und er konnte nichts anderes tun, als im Bett zu liegen und zu versuchen, auf eine rettende Idee zu kommen.
Um acht Uhr morgens rief er in seinem Büro an und sagte, er sei krank und auf dem Weg ins Krankenhaus. Er hielt es für angebracht, den Krankenhausbesuch irgendwie nachweisbar zu machen. Eine telefonische Mitteilung an den Personalchef würde ihn wahrscheinlich decken für den Fall, dass es der Versicherungsgesellschaft einfiele, die Inanspruchnahme zu überprüfen.
Bevor sich Dan auf den Weg ins Krankenhaus machte, fiel ihm ein, dass er wie ein Geistlicher aussehen musste. Während er sich umzog, überlegte er, wie er sich als Priester zu verhalten hatte. Er wollte vorbereitet sein, sollte sich jemand in geistlichen Dingen an ihn wenden. Vermutlich würde ihn niemand bitten, die Sakramente zu spenden; also dachte er, dass er mit ein paar katholischen Gesichtsausdrücken auskommen könnte.
Er stellte sich vor den Spiegel und versuchte, ohne großen Erfolg, eine gütige Miene aufzusetzen. Besser gelang ihm die gerechte Verachtung. Er überlegte, ob er einen Ausdruck der Anteilnahme tatsächlich brauchte, denn die Priester aus seiner Jugendzeit hatten ihn auch nie so angesehen. Sie blickten immer nur böse, ernst und gelangweilt. Dan entschied sich, es ebenso zu machen.
Er zerrte an dem steifen Klerikerkragen, um etwas mehr Platz zum Atmen zu bekommen. Als er sich im Spiegel betrachtete, hatte er für einen – aber wirklich sehr flüchtigen – Moment das Gefühl, ein Priester zu sein. Die Macht, die in dieser Uniform steckte, war ihm unbehaglich. Es war, als hätte er damit eine echte Verantwortung für die Seelen anderer Menschen übernommen. Dan fragte sich, wie sich jemand für ein solches Leben entscheiden konnte. Der Priesterberuf war nicht gerade glanzvoll zu nennen. Die Leute wollten ihre Sünden vergeben haben, sie beteten um Wunder, und von ihrem Priester verlangten sie Selbstlosigkeit. Und dann der Zölibat! Aus ebendiesen Gründen war Dan aus dem Seminar ausgeschieden.
Dan war auf dem Weg zur Tür, als das Telefon klingelte. Es war Karen, seine Anwältin, die ihm mitteilte, dass noch einige weitere Klagen eingegangen waren. Dan verstieß kräftig gegen das zweite Gebot und sagte zu Karen, dass er sie später anrufen würde.
Er fuhr zum Krankenhaus. Vor der Entbindungsstation schnappte er sich einen Rollstuhl für den Fall, dass sein Bruder zu faul oder zu schwach war, um selbst zu gehen. Pünktlich zu Beginn der Besuchszeit betrat Dan Michaels Zimmer. Diesmal würde er kein »Nein« akzeptieren. »Auf, auf, Bruder! Sattle die Pferde!«, rief er, kaum dass er im Zimmer war. »Wir müssen los.« Er wollte hier so schnell wie möglich verschwinden, und ganz bestimmt nicht wollte er eine weitere Begegnung mit Schwester Mary Anthony.
Michaels komatöser Zimmergenosse lag noch da und röchelte vor sich hin. Dan ging zu dem Vorhang, der das Bett des alten Mannes von Michaels Bett trennte. Er schleuderte den Vorhang zurück und erschreckte einen von oben bis unten eingegipsten Mann fast zu Tode. Dan starrte ihn einen Augenblick an. »Entschuldigen Sie«, sagte er. Dann wandte er sich an den komatösen Zimmergenossen. »Ich nehme nicht an, dass Sie mir eine Erklärung geben können.«
Dan wusste
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