McJesus
fraglos begabt. Ruben fühlte, dass er aus seinem Talent einen Beruf machen könnte, doch ohne einen Mentor, der ihm den Weg wies, brauchte er sich in dieser Hinsicht keine Hoffnungen zu machen. Also hoffte er auf die Lotterie – zweimal in der Woche.
In Michaels Wohnung ging immer noch keiner ans Telefon. Schwester Peg überlegte, ob sie hinübergehen sollte, um nachzusehen, aber sie wusste, dass sie nicht die Zeit dafür hatte. Sie legte auf und sah auf ihrer Liste nach, bei welchem Antrag auf Unterstützung sie als Nächstes nachhaken musste. Sie wählte, erreichte den Durchwahlanschluss und wurde gebeten zu warten. Sie schaute Ruben zu, der ein großes Stück Käse rieb. Als er fertig war, klemmte sich Schwester Peg den Hörer zwischen Ohr und Schulter und griff mit beiden Händen in den Berg aus geriebenem Cheddar. Am anderen Ende der Leitung meldete sich eine Stimme. »Ja«, sagte Schwester Peg, »wir sind beim Gesundheitsamt eingetragen als kommunale Wohn- und Fürsorgeeinrichtung.« Sie ließ den Käse in einen dampfenden Kessel mit Makkaroni fallen und rührte um. »Ich habe den Antrag auf Finanzierungshilfe vor zwei Monaten eingereicht. Könnten Sie bitte noch einmal nachsehen?«
Es wurde nachgesehen, dann meldete sich die Stimme zurück.
»Ich kann ihn nicht finden, Schwester«, sagte die Stimme. »Er ist verloren gegangen, wenn er überhaupt hier war. Sie müssen einen neuen Antrag stellen. Tut uns Leid.« Aufgelegt. Schwester Peg horchte eine Weile auf das Freizeichen und war dicht davor zu explodieren. Mit zusammengebissenen Zähnen zischte sie ein Schimpfwort ins Telefon. Dann legte sie auf, machte sich eine Notiz wegen Erneuerung des Antrags und wählte noch einmal Pater Michaels Nummer – ohne Erfolg.
Um das Mittagessen zu servieren, stellten sich Schwester Peg und Ruben hinter einen Tisch, der als Buffet diente. Peg pendelte mit dem straff gespannten Telefonkabel hinter sich zwischen Makkaroni mit Käse und einem großen Topf mit grünen Bohnen hin und her, während sie mit sehr eigenmächtigen Argumenten mit einem Klempner verhandelte. »Glauben Sie mir, es ist steuerlich absetzbar«, erklärte sie, »als Spende in Form von Dienstleistung.« Ruben reichte ihr einen Teller mit einer Scheibe Brot der Firma »Wonder Bread«. »Natürlich werde ich eine höhere Rechnung unterschreiben. Ich brauche schließlich Ihre Hilfe.« Sie dachte an die verstopfte Toilette, während sie eine Kelle grüne Bohnen auf den Teller klatschte. »Sagen Sie, essen Sie gern Käse?« Der Mann ließ sich schließlich erweichen und versprach, am Nachmittag zu kommen.
Schwester Peg wollte eben eine andere Nummer wählen, als ihr etwas auffiel. Es war ein leerer Teller, der sich langsam von der anderen Seite her auf das Buffet schob. Schwester Peg sah ein paar kleine Finger, die den Teller hielten. Als sie sich etwas vorbeugte, blickte sie in Alissas Gesicht. »Hallo«, sagte Peg.
Alissa sagte kein Wort. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich praktisch nie.
Schwester Peg lächelte. »Möchtest du das Beef Wellington oder die Krebssuppe?«
Alissa hatte keine Ahnung, wovon die Nonne sprach. Sie nickte nur und hoffte das Beste, während sie ihren Teller ein Stückchen weiterschob.
Schwester Peg gab ihr Makkaroni und Bohnen. »Es ist okay, Süße«, sagte sie. »Bald ist alles wieder gut.« Sie schaute Alissa nach, die, immer noch humpelnd, zu einem Tisch in der Ecke ging. Es war ein schrecklicher und beängstigender Anblick.
Schwester Peg hatte zeitlebens in Los Angeles gelebt und schon einige schreckliche Dinge gesehen. Aber in letzter Zeit schien alles schlimmer zu werden.
In den vergangenen fünf Jahren hatte sich die Zahl der misshandelten Kinder im Bezirk Los Angeles um 63 Prozent erhöht, während die nationale Steigerung bei 16 Prozent lag.
Über 100000 Menschen, die bei den Notdiensten des Bezirks anriefen, legten wieder auf, bevor sie mit jemandem gesprochen hatten, weil sie zu lange warten mussten. Schwester Peg wusste nicht, was beunruhigender war – dass so viele auflegten oder dass so viele anriefen.
Aber sie wusste, wie frustrierend der Umgang mit den Behörden war. Vor ein paar Jahren hatte sie angerufen, um zu melden, dass sie von einem misshandelten Kind wusste. Sie wurde gebeten zu warten. Zweiunddreißig Minuten später meldete sich eine hörbar überlastete Sozialarbeiterin. Schwester Peg erzählte der Frau von einem kleinen Mädchen namens Sonia. Die Mutter des Mädchens, die angeblich unter der
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