McJesus
eben nicht früher gekommen, und jetzt war nicht mehr genug auf den Konten, um etwas für eine bessere Feier draufzulegen. Und auch die Zeit reichte nicht mehr. Denn um zu vermeiden, dass er Butch Harnett auf dem Friedhof in die Arme lief, hatte Dan in den Zeitungsanzeigen als Datum für seine Beerdigung den morgigen Tag angegeben. Eine Verzögerung infolge einer Aufbesserung der Trauerfeierlichkeit würde wahrscheinlich zu Dans Verhaftung führen. Nein, er musste bei der billigen Version bleiben.
Dan fuhr zum Friedhof, und sein schlechtes Gewissen wuchs wie die Kreditkartenzinsen, weil Ruth nicht bei der Beerdigung ihres Sohnes dabei sein würde. Wahrscheinlich wusste sie nicht einmal, dass Michael tot war; es sei denn, sie hatte die Fernsehnachrichten gesehen. Aber dann musste sie denken, dass Dan der Verstorbene war. Dan konnte sich jetzt nicht damit befassen, was seine Mutter zu diesem Zeitpunkt wusste oder nicht. Jetzt musste er seinen Bruder zur ewigen Ruhe betten.
Für den einsamen Totengräber, der auf seine Schaufel gelehnt unter einem Maulbeerbaum stand, sah es wie eine sehr traurige Bestattung aus. Nur ein Priester stand vor dem kleinen Loch in der Erde, das er eine Stunde zuvor gegraben hatte. Vermutlich war der Priester der Beichtvater des Verstorbenen, und das bedeutete, dass der Tote entweder allein gestorben war oder mit sämtlichen Freunden und Familienmitgliedern gebrochen hatte. Der Totengräber hätte nicht sagen können, was schlimmer war.
Dan wusste nicht recht, wie er vorgehen sollte, hatte er doch noch nie eine Beerdigung geleitet. Er hatte sich ein paar Stichworte für eine kleine Grabrede notiert, aber er wusste nicht, was er solange mit der Asche tun sollte. Es war noch zu früh, Michael in die Erde zu senken, deshalb hielt Dan die Urne in der linken Hand und in der rechten den Zettel mit seinen Notizen. Er blickte auf die Worte, die er geschrieben hatte, zusammengeschustertes Zeug aus ferner Erinnerung: Gott dem Allmächtigen hat es gefallen, die Seele des Verschiedenen heimzuholen; wir hoffen auf die Auferstehung und das ewige Leben durch Christus, unseren Herrn. Dann kam die Stelle mit Asche zu Asche, Staub zu Staub. Es waren schöne, altbewährte Worte, und als Dan sie aufgeschrieben hatte, dachte er, mehr bräuchte im Grunde nicht gesagt zu werden.
Doch jetzt erkannte Dan, dass es doch mehr zu sagen gab. Er fühlte sich so schuldbeladen und brauchte die Worte, um seine Gefühle auszudrücken, aber die Worte versagten sich ihm, je schuldiger er sich fühlte. Es war schlimm, dass er seinen Bruder so billig beerdigte, schlimmer noch, dass er seiner Mom nichts gesagt hatte, und um das Maß voll zu machen, hatte er seinen guten Bruder wegen des Tricks mit den vertauschten Rollen vielleicht geradewegs in die Hölle geschickt. Nun versuche einer, damit zu leben.
Dan überlegte, ob er einfach frei von der Leber weg sprechen sollte, statt abzulesen, was er geschrieben hatte. »Verdammt, du Idiot! Warum musstest du sterben? Warum musstest du in die gottverdammte Dritte Welt gehen und dich um andere kümmern, statt für dich selbst zu sorgen? Was hast du dir dabei gedacht? Warum hast du alles mir aufgehalst?« Aber das konnte er nicht sagen. Und wie konnte er so etwas überhaupt denken? Dan wischte sich die Tränen aus den Augen. Der Totengräber unter dem Maulbeerbaum schaute ihm zu. Er musste warten, bis der Priester fertig war, bevor er das Loch zuschaufeln konnte.
Dan versuchte, seinen Text zu lesen, aber die Worte kamen nicht aus seinem Herzen. Er steckte den Zettel wieder ein. Er hielt die Urne mit beiden Händen, schaute sie an und hoffte, etwas tief Inniges würde aus seiner Seele kommen, aber alles, was kam, war plop, plop, fizz, fizz, o welche Erlösung der Tod für uns ist. Immerhin war er nicht so geschmacklos, es laut zu sagen.
Er drückte die Urne an seine Brust und hielt sie umfangen. Dann kniete er nieder, senkte sie in den Boden und beerdigte seinen Bruder mit bloßen Händen.
Der Totengräber zuckte die Achseln und ging.
Das Büro der Erzdiözese Los Angeles befindet sich in einem gewöhnlichen Bürogebäude am Wilshire Boulevard, ungefähr auf halbem Weg zwischen Beverly Hills und Innenstadt. Im Vorraum hängen einige Fotos, hier eines von einem einheimischen Bischof, dort eines von einem früheren Papst. Auf einem kleinen Tisch gleich hinter der Tür liegt die neueste Ausgabe von The Tidings, dem katholischen Wochenblatt in Südkalifornien. Das Büro ist von
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