Mea culpa
entdeckt, die zwischen den Buchstaben herumkrochen, wenn sie ein Buch aufschlug. Diese Bücher legte sie in eine große Kiste in einer Ecke ganz hinten unter einem breiten Dachbalken, und ab und zu glaubte sie, von dort Rascheln und Knistern zu hören.
An der dunkelsten Wand stand eine Art Kommode, mit bestimmt fünfzig kleinen Schubladen, in denen die Kartothek untergebracht war. Die Karten standen nie in der richtigen Reihenfolge, zum Beispiel hatte sie Dag aus dem Wald unter F gefunden, obwohl der Autor doch Bernhard Stokke hieß. Anfangs, in der dritten Klasse oder so, lange ehe sie den Schlüssel bekommen hatte und damit unabhängig geworden war, als der Klassenlehrer für sie die Tür nicht mehr auf- und zuzuschließen brauchte, hatte sie mit Aufräumen angefangen. Aber sie hatte ziemlich bald aufgegeben. Das, was sie suchte, fand sie auch ohne Kartothek.
In der siebten Klasse stellte Synne fest, dass die Regale zu Hause mit Büchern gefüllt waren, die nicht nur für Erwachsene reserviert waren, und nun gab sie den Schlüssel zurück. Der Klassenlehrer lächelte leicht verlegen; ein Jahr darauf wurde das Schulhaus abgerissen. Wer die vielen Bücher bekommen hatte, wusste Synne nicht. Das neue Schulgebäude besaß jedenfalls keine Bücherei, und Synne fing jetzt selbst an, Bücher zu sammeln.
Seit der siebten Klasse hatte Synne Nielsen nie wieder einen Fuß in eine öffentliche Bibliothek gesetzt und fand sich hier kaum zurecht.
Hier roch es jedenfalls nicht nach Schimmel. Die Bücher standen in übersichtlichen Regalen, die zwar aus Metall waren, an den Enden aber von heller, freundlicher Kiefer zusammengehalten wurden, und einige waren offenbar ganz neu, denn ein schwacher Geruch von Holzlack vermischte sich mit dem Duft, an dem weder Schimmel und Feuchtigkeit noch Licht und Wärme etwas ändern können: dem süßlichen, klebrigen Duft von Büchern.
Hier wurden den Benutzerinnen offenbar keine eigenen Schlüssel ausgehändigt. Im Gegenteil, Synne musste im Eingang eine Art Alarmstation passieren, zwei quer verlaufende Bügel, die mit Grünpflanzen getarnt waren, die aber sichtbar genug wirkten, um alle zu warnen, die vielleicht vorhatten, Dinge an sich zu nehmen, die nicht, wie es sich gehörte, in die Computer eingegeben wurden, deren Bildschirme hinter einer Schranke mit weiteren Grünpflanzen blinkten. Synne griff aufs Geratewohl nach einem Buch und suchte diskret nach der Stelle, wo der Alarm versteckt war; sie hatte nicht vor, etwas zu stehlen, doch sie wollte wissen, ob es möglich wäre, überhaupt irgend etwas in einem Buch zu verstecken. Sie fand nichts, nicht einmal, als sie den Einband nach außen bog und zwischen Rücken und Kleberand nachschaute.
Die Frau hinter der Schranke war größer als Synne Nielsen. Das war ein äußerst seltenes Erlebnis und stürzte Synne in eine gewisse Verlegenheit; sie hatte das Gefühl, dass alle sie anstarrten, zwei ins Gespräch vertiefte Riesinnen; vielleicht würde jemand sie für Schwestern halten, und das war keine angenehme Vorstellung, die Bibliothekarin war nämlich dicker als sie und außerdem kinnlos und schieläugig. Synne wusste nicht so recht, welches Auge sie anblicken sollte, und entschied sich schließlich und nicht ganz überzeugt für die Nasenwurzel.
»Ich brauche ein paar Auskünfte«, sagte sie vorsichtig. »Auskünfte über … eine Person des öffentlichen Interesses, so könnte man sie wohl nennen.«
»Ja, da können wir vielleicht behilflich sein«, sagte die Frau, deren Stimme perfekt zu ihrem Körper passte.
»Wie gehe ich dabei denn vor?«, fragte Synne, da die Frau offenbar nicht beabsichtigte, ihr das mitzuteilen; sie stand nur da und starrte irgendeinen Punkt an, der zwischen ihnen in der Luft hing.
»Schreiben Sie einfach den Namen auf«, polterte die Bibliothekarin und schob ihr ein Blatt Papier hin. »Vielleicht haben wir ja einen Presseordner.«
Damit war sie verschwunden.
Rebecca Dorothea Faber Lange Schultz.
Das war ein Name, der nicht schnell geschrieben werden konnte. Er ließ sich auch nicht in Blockbuchstaben hinhämmern. Er verlangte nach Schönschrift – nach eleganter altmodischer Schreibschrift. Synne brauchte lange dafür und war mit dem ersten Entwurf nicht zufrieden, deshalb stopfte sie den Zettel in die Tasche, beugte sich über den Tresen und nahm sich einen neuen.
»Wunderschöne Schrift«, knurrte die Bibliothekarin anerkennend, mit einem Lächeln, das verriet, dass sie es nicht einmal schaffte, ihre
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