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Mea culpa

Mea culpa

Titel: Mea culpa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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schmerzt. Ich friere, obwohl das Thermometer nicht einmal nachts unter fünfundzwanzig Grad fällt. Tagsüber ist es einiges über dreißig, aber ich klappere mit den Zähnen. Anfangs dachte ich, ich hätte mir Malaria zugezogen. Meine Medikamente sind verbraucht, irgendein prophylaktischer Kram, den ich hier jeden Morgen brav genommen habe, zusammen mit einer Zusatzpille am Montag. Ich hatte noch nicht die Energie, mir Nachschub zu besorgen. Ich weiß ja nicht einmal, ob sie mich in der Apotheke nicht auslachen würden, jedenfalls hat Hervé breit gegrinst, als ich die Sache ihm gegenüber erwähnt habe. Er hat mir versichert, dass Malaria hier auf der Insel »no problem« sei, sie trete nur an »very few places« in »benign form« auf. Gutartige Malaria! Klingt wie gutartiger Krebs oder Aids oder so etwas.
    Es ist sicher nicht Malaria. Sondern Einsamkeit. Aber ich darf nicht klagen.
    Ich hasse nichts so sehr wie Insekten. Doch das Gewimmel auf Mauritius hat etwas Vertrautes, fast schon Anheimelndes. Ein paar Mücken, allerlei Fliegen und dazu Kakerlaken, an die ich mich erst nach und nach gewöhnt habe. Als ich das erste Mal eine von diesen winzigen Eidechsen gesehen habe, von denen es hier wimmelt, hielt ich sie für ein Rieseninsekt und wäre fast in eine Psychose gestürzt. Jetzt leisten sie mir Gesellschaft, wenn sie jeden Abend in der Dämmerung über die Terrassenmauer gekrochen kommen, klein, orangerot und von so schrecklicher Angst vor allem und allen besessen, dass sie alle zehn Zentimeter eine zehnminütige Pause zur Begutachtung des Feindes einlegen. Ich könnte schwören, dass einer von ihnen hier wohnt; er hat einen seltsamen schwarzen Fleck auf dem Rücken, fast wie ein Totenkopf. Ich nenne ihn Frederik, denn er hat ein wenig Ähnlichkeit mit einem Bekannten, mit seinen hervorstehenden und ein wenig ängstlichen grünen Augen.
    Über die Sperlinge freue ich mich. Es sind ganz normale graue Spatzen, so wie die, die wir zu Hause haben. Zu Hause. Ich habe mir zwei Tage den Kopf darüber zerbrochen, ob Sperlinge Zugvögel sind und ob mich hier also zum Frühstück jeden Morgen einer von meinen alten Freunden aufsucht. Aber es will mir einfach nicht einfallen.
    Es fällt mir überhaupt schwer, mich zu konzentrieren. Ich werde fast ununterbrochen von Kopfschmerzen gequält. Nicht im ganzen Kopf, wie bei einer Erkältung oder bei einem argen Kater, nein, das hier ist ein infamer, stechender, nadelspitzer Schmerz an einem bestimmten Punkt, in der linken Gehirnhälfte. Wenn ich doch nur ein Lexikon oder ein Gesundheitsbuch für die Familie hätte. Dann könnte ich nachschlagen, wofür die linke Gehirnhälfte zuständig ist. Aber ich habe kein Lexikon und kann mich an nichts erinnern. Ich habe nur zehn norwegische Taschenbücher aus einer Romanserie, und die habe ich schon so oft gelesen, dass ich sie fast auswendig kann. Außerdem besitze ich eine Prachtausgabe von Shakespeares Sonetten. Egal, wie oft ich die lese, ich kann sie niemals auswendig lernen. Nicht einmal Nummer XVIII , das schönste, von dem ich einmal eine kunstvolle Abschrift für sie angefertigt habe.
    Als ich noch ein Kind war, war alles anders. Ich war noch keine drei, als ich schon die Marseillaise auswendig konnte. Einmal habe ich durch den Türspalt bei einem Fest zugesehen; meine Eltern und vier andere Erwachsene amüsierten sich und lachten, und dann entdeckten sie mich. Papa hob mich hoch, sehr hoch, und er roch gut und hatte hellblaue Augen, wie Großmutter, mit Lachfältchen in den Ecken, und er setzte mich auf seine Schultern. Ich hielt mich an seinen Ohren fest und wusste, was er wollte. Mein Schlafanzug hatte Füße, obwohl ich bestimmt schon sechs war; wir hatten Frankreich mit Koffern voller viel zu großer Kinderschlafanzüge verlassen. Er kitzelte mich unter den Füßen, durch den Kunststoff hindurch, und er lachte noch mehr, und ich kam mir vor wie eine Prinzessin und durfte drei Strophen von »Ach, es schmerzt, wenn Knospen bersten« aufsagen, dann zog Mama mich von seiner Schulter und steckte mich ins Bett und versicherte mir, um meine Schwester nicht zu wecken, im Flüsterton, wie toll ich das gemacht hätte.
    Ich könnte nach Hause fahren. Ich könnte wieder zu leben anfangen.
    Natürlich kann ich nicht nach Hause fahren. Ich muss hier bleiben. Wenn sich nur die Kopfschmerzen legten, dann würden die Nächte erträglich werden und irgendwer könnte mich anfassen. Mir einfach nur kurz über den Rücken streichen.
9
    Sie

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