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Mea culpa

Mea culpa

Titel: Mea culpa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Wissensbrocken über alles Mögliche zwischen Himmel und Erde, die ihre Bekannten seit Jahren nicht mehr hören mochten, darüber, dass Fahrstühle denken und Elefanten ihre Friedhöfe finden können, über die Verbreitung der spätminoischen Kultur und über Eislaufzeiten – das alles brachte Rebecca dazu, weitere Fragen zu stellen, sich weiter zu öffnen, weiter zu lachen. Synne glaubte, einen Hauch von Bewunderung zu ahnen, und deshalb fühlte sie sich ungeheuer wohl, trotz ihrer Jeans, die sie wegen ihrer Übergröße immer unter strengster Geheimhaltung kaufte. Ihr Hemd stand offen bis zu einer beneidenswerten Spalte, ihre Brüste trafen einander auf eine Weise, die zwar größtenteils einem gewissen Übergewicht geschuldet war, von der sie aber dennoch aus Erfahrung wusste, dass normalerweise kaum jemand, weder Frau noch Mann, den Blick davon abwenden konnte.
    »Du musst noch nicht nach Hause?«, fragte Rebecca noch einmal, als sie aufstanden.
    Synne brachte keine Antwort heraus.

    Sie waren seit zehn Stunden und dreiundzwanzig Minuten zusammen. Sie hatten mehrere Straßencafes besucht, hatten in einem überdachten Lokal gegessen und dann zum Nachtisch noch zwei Bars besucht. Sie standen am Taxenstand auf dem Holbergs plass. Es war dunkel, die erste richtig dunkle Nacht seit zwei Monaten, und die Luft wies mitten in der sanften, fächelnden Augustbrise einen kühlen Biss auf.
    »Ich muss dich etwas fragen«, sagte Synne und zog ihre Hand zurück, die eine Locke berühren wollte, die immer wieder in Rebeccas Gesicht fiel – die Locke hatte sich noch nicht daran gewöhnt, dass die Haare jetzt kürzer waren und auch hinter dem Ohr bleiben konnten.
    »Dann schieß los«, lachte Rebecca; sie nuschelte ein wenig, aber nur ganz wenig, das war süß und machte sie jünger und war überhaupt nicht vulgär, es zeigte nur, dass sie nicht wie Synne an Alkohol gewöhnt war, und als sie einen unfreiwilligen Schritt vorwärts machte, war es nur richtig und natürlich, dass Synne die Arme ausstreckte und sie für einen Moment stützte.
    Sie wollte sie nicht loslassen. Sie ließ sie sofort los.
    »Warum siehst du so aus?«
    Sie hätte die Frage am liebsten sofort zurückgenommen. Und zwar so dringend, dass das »aus« sozusagen rückwärts und mit einem Einatmen gesagt wurde. Über zehn Stunden hatte sie sich diese Frage verkneifen können. In zwei Sekunden hatte sie alles ruiniert.
    Rebecca gab keine Antwort. Sie machte noch einen unfreiwilligen Schritt, diesmal aber rückwärts, und da wirkte es nicht natürlich, sie zu stützen.
    Ihre Augen waren tiefschwarz und in ihrer Faltenlosigkeit typisch asiatisch, aber es waren keine so genannten Schlitzaugen, sie waren eher rund, und obwohl die unerwartet schmale Nase sehr weich aussah, war doch das sehr kurze Nasenbein zu ahnen, das ihr den charakteristischen, ein wenig flachen Ausdruck nahm, den Synne richtig gefunden hätte. Die Nasenflügel waren klein und fein, sie vibrierten beim Lachen, und der Mund war üppig und fast groß. Die Haut war außerdem ein wenig dunkler, als zu erwarten gewesen wäre. Das konnte aber auch von der Sonne kommen.
    »Woher kommst du?«, verbesserte Synne sich. »Seit wann bist du hier?«
    Ein Taxi jagte um die Verkehrsinsel und lenkte ihre Aufmerksamkeit für einen Moment auf das SAS -Hotel. Der Wagen kam mit kreischenden Bremsen vor ihnen zum Stehen. Rebecca steckte die Hand nach der rückwärtigen Tür aus.
    »Nicht alles ist so, wie es auf den ersten Blick scheint, Synne. Nichts ist so.«
    Sie lächelte. Im schweren Nachtlicht leuchteten ihre Zähne fast bläulich auf.
    »Möchtest du mit mir nach Hause kommen? Christian ist mit den Kindern ins Sommerhaus gefahren und …«
    »Zu spät«, sagte Synne rasch und lässig und konnte es selbst nicht fassen. »Ich muss früh raus.«
    Nicht für eine Sekunde bildete sie sich ein, Rebecca habe mit ihrer Frage einen Hintergedanken verbunden. Wenn Synne ihr dargelegt hätte, was diese Aufforderung auch beinhalten könnte, dann wäre sie vermutlich zutiefst errötet, hätte sich für den netten Abend bedankt und wäre für ewig und alle Zeit mit einem Übelkeit erregenden Gefühl im Zwerchfell aus Synnes Leben verschwunden.
    Es war keine durchdachte Einladung gewesen. Synne besaß eine Klugheit, der Rebecca sich nie auch nur genähert hatte; ein Wissen, das sich nur als Folge ganz besonderer Erfahrungen einstellt, statt einem glänzenden Intellekt zu entspringen, und dieses Wissen rettete sie ganz

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