Mea culpa
impulsiv aus einer Situation, die höchstens einen vorübergehenden, aber dennoch äußerst zweifelhaften Gewinn eingebracht hätte.
Bisher war Synne mit der Liebe umgegangen wie mit Wein und Schokolade. Sie hatte durchaus darin geschwelgt, wusste aber, dass sich kleine Portionen doch am ehesten empfahlen. Niemals griff sie mit beiden Händen nach etwas; die eine Hand musste frei sein, für etwas Besseres, falls das auftauchte, was ja immer passierte, etwas Heftigefres, Verlockenderes.
Sie betrachtete ihre Hände und bekam eine Gänsehaut, als sie sah, dass diese sich falteten.
»Ich ruf dich an«, sagte Rebecca und kurbelte das Fenster des bereits losfahrenden Taxis herunter.
»Ich stehe im Telefonbuch«, rief Synne zurück. »Als Nr. 2 mit diesem Namen!«
Mit einem Stich der Angst, Rebecca könnte diese letzte Auskunft nicht mitbekommen haben, stieg sie in ein weiteres Taxi und machte, dass sie nach Hause kam.
8
Liv Ullmann. Ich denke an Liv Ullmann. Während ich unter einer verwelkten, halbtoten Palme sitze und ohne besonderes Engagement schöne Frauen betrachte, denke ich an Liv Ullmann.
Vor langer Zeit einmal habe ich ihren Hund gestohlen. Ein wurstähnliches Wesen namens Pan. Oder Pax. Ich weiß es nicht mehr genau, und das ärgert mich. Der Hunderaub trug sich in Roros zu, es muss im Jahre 1968 gewesen sein. Sie war damals eine strahlende Offenbarung von dreißig Jahren, ich war acht und unschön. Sie gab mir fünfzig Kronen, als ich den Hund zurückbrachte. Die Lüge kroch nur so aus meinem Mund: Ich hätte ihn gefunden. Der kleine Pan/Pax hatte vier Stunden im Zimmer des Roros-Hotels verbracht. An sich hatte er nicht leiden müssen – Tiere behandelte ich immer gut –, aber ich weinte den ganzen Abend lang herzzerreißend, weil ich mir fünfzig unehrliche Kronen ergaunert hatte. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, habe ich das Geld aber nicht zurückgegeben; mein Gewissen brauchte nur einen Tag, um sich zu beruhigen.
Keine von diesen Frauen ist so schön wie sie. Ich stehe ja an sich nicht auf Blond. Im Gegenteil, ich habe Blondinen noch nie bevorzugt; dahinter stecken jedoch keine besonderen – jedenfalls keine bewussten – Vorurteile. Dunkle Haut und dunkle Haare sind einfach so viel schöner; wärmer und einladender, gewissermaßen. Dennoch: Diese Frauen in allen Farbtönen von Schwarz bis Beige, mit ihren geraden Rücken und ihren wunderschönen Kindern, die um ihre langen Beine herumwuseln, diese Frauen mit ihren bunten Kleidern und einem leichten Hauch süßen Schweißgeruchs, wenn sie am Strand an mir vorüberfegen, auf dem eiligen Weg zu irgendeinem mir unbekannten Ziel – sie könnten Liv Ullmann nicht ausstechen. In keiner Hinsicht.
Liv Ullmann ist die Inkarnation des Schönen. Sie ist perfekt, betrachten wir nur den rötlichen Einschlag, der dem bleichblonden Haar seinen Anflug von Stupidität raubt. Sehen wir uns die Augen an: Nicht ihre Größe macht sie so wunderschön, sondern der Inhalt; ein abgrundtiefer Einblick in Leben und Zusammenspiel der Menschen, Wissen, das sicher eine Last bedeutet, das aber die darüber liegende Ausstrahlung von Naivität nicht dämpfen kann: die eigentliche Voraussetzung für das Schöne.
Ich schaffe es, fast dreißig Minuten lang an Liv Ullmann zu denken.
Jetzt habe ich seit fast vier Monaten keinen anderen Menschen mehr berührt. Oder bin berührt worden. Ich habe nicht einmal jemanden mit Handschlag begrüßt; als ich herkam, ging mir bald auf, dass die Menschen, von denen ich allerlei Dienste kaufe, in Verlegenheit gestürzt werden, wenn ich ihnen eine ausgestreckte Hand hinhalte. Sie scheinen das aufdringlich zu finden, wie den törichten Versuch einer – in ihren Augen – überaus reichen Person, sich zu ihnen herabzulassen, wenn sie mich zum Beispiel für die lächerliche Summe von siebenhundert Rupien, also einiges weniger als zweihundert Kronen, hundertsechzehn Kilometer fahren – zum Flughafen oder zu irgendwelchen Besorgungen.
Ich glaube, das macht mich langsam krank. Dieser Mangel an Hautkontakt. Dieser Mangel an Sex. Beim bloßen Gedanken steigt mir bereits die Röte in die Wangen. Ich meine, die Geschichte wimmelt nur so von menschlichem Leid, von Armut und Erniedrigung, und da behaupte ich, dass der Mangel an menschlichem Kontakt mich innerhalb weniger Monate krank macht.
Bergen-Belsen. Bosnien. Vietnam. Das Frauengefängnis Bredtvedt. Ich klammere mich an ein Schuldgefühl, das ich nicht finden kann. Aber mein Körper
Weitere Kostenlose Bücher