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Mea culpa

Mea culpa

Titel: Mea culpa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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das sah sie selbst, und es landete im Kamin, um in irgendeiner Weise ihrem gewaltigen Eifer und ihrer unerschütterlichen Tatkraft Einhalt zu gebieten; sie wusste, dass sie ein gutes Buch schreiben könnte, wenn sie nur hart genug arbeitete. Es war einfach das Richtige für sie, für Kinder zu schreiben. Es lag an der Sprache, die kam ihr so leicht, so natürlich vor. Sie musste für Kinder schreiben, und die Sprache lag bereits vor, lag fix und fertig in ihrem Kopf. Sie hatte nur so schrecklich lange gebraucht, um das zu begreifen.
    Sie schrieb und schrieb und wartete im Grunde auf Rebecca.
    An einem Samstagabend hörte sie sie kommen. Cetacea sprang plötzlich auf, stieß ein halbersticktes Bellen aus und lief mitten ins Zimmer, wo sie dann auf steifen Beinen stehen blieb; ihr schien ein kleiner Igel im Nacken zu sitzen.
    Synne ging zögernd in die Diele. Da stand Rebecca, die Tür war offen gewesen. Sie sagte nichts. Und Synne kam derselbe Gedanke wie schon so oft: Nichts kann so ausdruckslos sein wie ein asiatisches Gesicht. Oder vielleicht lag es einfach daran, dass Synne den Code nicht kannte. Rebecca war ungeschminkt, ihre Haare waren noch ein wenig feucht, sie zerfielen in schwere, aneinanderklebende Locken, und ihre Wangen glänzten, als käme sie eben erst aus dem Bad. Synne hatte keine Ahnung, wie sie sich verhalten sollte, und deshalb beschloss sie, Rebecca aus dem Mantel zu helfen.
    Als Rebecca die Arme aus den Mantelärmeln zog und sich zu Synne umdrehte, streifte ihre linke Hand aus Versehen Synnes Brust.
    »Entschuldigung. ENTSCHULDIGUNG !«
    Sie riss den Mantel an sich, als habe sie sich da und dort alles anders überlegt und wolle gehen. Synne schüttelte den Kopf, murmelte irgendeine Bemerkung, und ihr fiel nichts Besseres ein, als in der Diele zurückzuweichen und die Arme auszubreiten.
    Und so blieben sie stehen. Rebecca, die den grünen Wintermantel wie einen Schild vor sich hielt; Synne wie eine Indianerin, die die Handflächen ausstreckte, zum Zeichen ihrer friedlichen Absichten.
    »Ich wollte doch nicht …«
    »Schon gut, schon gut«, murmelte Synne, während ihre Brustwarze brannte.
    »Das war wohl keine gute Idee.«
    »Wenn du meinst. Ich habe mich jedenfalls schrecklich gefreut. Aber das weißt du ja.«
    »Weiß ich das?«
    Synne lehnte sich an die Wand und starrte resigniert zur Decke hoch, dann wagte sie, die Hand auszustrecken.
    »Ja, das weißt du. Du weißt, dass ich immer mit dir zusammen sein will.«
    »Du könntest doch Besuch haben.«
    Rebecca wich wieder zurück.
    »Hier ist niemand«, sagte Synne.
    »Du könntest nicht zu Hause sein. Anderswo.«
    »Ich bin nicht anderswo. Ich bin hier. Und du auch. Darüber freue ich mich. Können wir nicht …«
    Wieder trat Synne vor, um Rebecca den Mantel abzunehmen. Rebecca hielt sie mit einem blitzschnellen Schritt rückwärts auf; jetzt war sie bis zur Tür zurückgewichen.
    Fünf Monate lang hatte Synne genommen, was sie bekommen konnte. Sie hatte getan, was Rebecca gewollt hatte. Sie war gekommen, wenn Rebecca gewinkt hatte. Jetzt stand Rebecca da und stürzte sie in tiefere Verwirrung denn je.
    »Was willst du eigentlich?«, fragte Synne, und es klang schärfer als beabsichtigt.
    Sie riss sich zusammen und fragte noch einmal:
    »Was willst du eigentlich, Rebecca?«
    Die schüttelte nur den Kopf und hob den Mantel noch höher.
    »Möchtest du ein Glas Wein?«
    Rebecca schüttelte wieder den Kopf, aber das war nur gut so, da Synne keinen Wein im Haus hatte.
    »Eine Tasse Tee vielleicht? Kaffee?«
    Neues Kopfschütteln.
    »Weißt du«, sagte Synne, »jetzt bist du genau wie ein Kind. Mit einigen grauen Haaren vielleicht, aber doch wie ein Kind.«
    Sie lachte, sie konnte nicht anders. Rebecca strich sich kurz über das Haar.
    Dann hängte sie ihren Mantel auf. Und kam auf Synne zu.
    Sie entdeckten es gleichzeitig, diese Eigentümlichkeit, die unverändert blieb, dass ihre Körper perfekt zueinander passten. In den kommenden Jahren wurde das wieder und wieder unter Beweis gestellt; sie waren füreinander geschaffen. Egal, wie sie standen oder lagen oder sich miteinander verflochten, sie waren wie zwei Tonfiguren, die sich im Bruchteil einer Sekunde einander anpassen konnten; niemals schlief ein Glied ein, weil ein anderes darauf drückte, nie musste eine von ihnen sagen: Rück mal ein Stück weiter, Liebes, du bist mir zu schwer. Nie. Als Synne dort in der Diele stand und Rebecca zum ersten Mal wirklich umarmte, hatte sie das Gefühl, das

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