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Mea culpa

Mea culpa

Titel: Mea culpa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Holzrahmen. Und darüber, als Schutz vor den heftigen Regengüssen, die hier ab und zu wüten, ab und zu mehrmals am Tag, eine Schicht gewellter Kunststoff. Das Dach ist wasserdicht. Wenn keine Kälte ausgesperrt werden muss, dann reicht diese Konstruktion aus. Und kalt wird er hier nie. Jedenfalls nicht draußen.
    Ich falle so rasch und sanft, dass ich fast einschlafe, und Schlaf ist um diese Tageszeit ein Tabu. Ich fahre hoch. Das Kopfende des Bettes bohrt sich in meinen Rücken, und das ist gut so.
    Ich friere noch immer, aber nicht mehr so wie früher. Malaria kann es nicht sein, denn ansonsten fühle ich mich gar nicht krank. Abgesehen von den Kopfschmerzen. Ich sitze auf dem Bett und schaue hoch zum Strohdach, um mich davon zu überzeugen, dass es nicht mehr mit mir nach unten sinkt. Der Ventilator dreht und dreht sich. Wenn ich meinen Blick auf seine Mitte richte, sieht er aus wie der Drehflügel eines Hubschraubers; ich sehe die drei Blätter nicht mehr, sondern nur die Bewegung, wie bei einem Rad. Ich kann die Blätter für einen Moment auseinander halten, wenn ich mich auf ihren Rand konzentriere, aber wirklich nur für einen Moment, und ich bekomme Kopfschmerzen davon. Noch stärkere Kopfschmerzen.
    Ich habe noch immer den Zettel. Anders als sie habe ich alles aufbewahrt. Absolut alles. Aber es ist so wenig, dass ich es in einem Schuhkarton unterbringen kann. Sie war keine große Briefschreiberin. Keine Frau vieler Worte. Ich hätte Koffer mit meinen Werken füllen können, nur hat sie im Laufe der Zeit ja das meiste verbrannt. Fast alles eigentlich. Bei mir liegt alles in einem italienischen Schuhkarton, mit Wiesenblumen und grünem Deckel. Dieser Schuhkarton ist mir so wichtig, dass ich ihn auf der Reise hierher als Handgepäck mit im Flugzeug hatte.
    Jetzt ist der Zettel schmutzig. Im Nachhinein – ich meine, sie kam ja zurück, wie immer – sehe ich, dass es neben dem Schock darüber, dass sie mich so jählings von sich gestoßen hatte, auf dem Gipfel einer Verliebtheit, die Knappheit dieser Mitteilung war, die mir vor allem wehtat.
    Dass sie sie nicht einmal unterschreiben mochte. Dass dort nicht mehr stand, als dort eben stand. Dass sie mich einfach so fallen lassen konnte, fast ohne weiteres.
    Ich starre den Rotor an der Decke an und fahre mir über die Augenbrauen. Die Narbe ist noch immer sehr deutlich. Ich trage sie wie ein Adelszeichen. Ich liebe diese Wunde. Ich hasse das Zeichen auf der Stirn, das unsichtbare Zeichen, das alle sehen können müssten, aber diese Narbe über meinem Auge liebe ich.
    Petter war heute nicht hier. Asha hat meine schmutzige Wäsche geholt, aber sie schien es eilig zu haben. Ihre Hände waren noch schneller als sonst, und sie sagte so gut wie nichts. Sie hat irgend etwas an sich, als könnte sie mir ansehen, dass ich ihre Achtung nicht verdiene.
    Ich wünschte, Petter käme. Dann könnten wir das Flugsimulationsspiel spielen. Er könnte mir jedes Mal seinen Rippenstoß versetzen, wenn er seine Landung so perfekt hinlegt, als habe er nie etwas anderes getan.
    Seine Nähe schenkt mir Momente von etwas, das Ähnlichkeit mit Glück hat. Nur für kurze Sonnensekunden zwar, aber dennoch: Wenn er einige Tage nicht hier war, spüre ich meine Sehnsucht nach seinem Lachen, nach seinen Balancierkünsten, wenn er auf seinen dünnen Beinen über die abgeknickte Palme vor der Nordwand des Bungalows rennt, ich nehme die Zeit, und er ist in drei Komma vier Sekunden von einem Ende zum anderen gelaufen; er fragt und gräbt und lacht und bildet kleine Höhlen, in denen ich mich verkriechen und einfach nur erwachsen und spannend und seltsam und aus einem fernen Land sein kann, wo ich an nichts anderes zu denken brauche als daran, dass bald der Abend kommt. Obwohl er ein Junge ist und schwarz und nur Shorts und T-Shirts trägt, erinnert er mich an den Winter, der endlich kam, den echten, klirrendkalten Binnenlandwinter, wenn Mama mir eine Socke nach der anderen über die Füße streifte und ich gar keine Stiefel mehr brauchte; diese Freiheit, das Gefühl, alles und alle besiegen zu können, mit Papas Wandersocken, die nicht auf dem Schnee rutschten und am Ende zu riesigen Schneemannsfüßen wurden.
    Will Asha nicht, dass Petter mich weiterhin besucht?
14
    »Das ist Caroline.«
    Caroline war sechs Jahre alt. Abgesehen von ihren Farben war sie ein Klon des Vaters. Natürlich hatte sie nicht diese rotblonden Haare, ihre waren dunkelbraun und struppig (sie hatte auch nicht die Locken des

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