Mea culpa
an.
»Verzeihung, Rebecca, so war das wirklich nicht gemeint.«
Aber Rebecca wollte es nicht hören. Sie war schon unterwegs zum Parkplatz, der Rücken ihrer Jacke war breit und rot und von Daunen aufgequollen, und ihre schwarzen Jeans machten ihre Beine fast unsichtbar; über den dämmrigen Weg schien ein großer roter Ball zu springen.
Erst am Auto, einem dunkelblauen Mercedes 500 SL , drehte sie sich wieder zu Synne um. Sie schauten einander an, lange, lange, keine mochte etwas sagen. Am Ende nahm Rebecca Synnes Hand, öffnete sie, Finger um Finger, mit leichten, warmen Bewegungen, um sich dann in die Betrachtung der Handfläche zu vertiefen. Vielleicht sah sie etwas, denn ihre Miene hatte sich verändert, als sie die Hand langsam an ihr Gesicht hob, um sie an ihre Wange zu legen. Synne spürte ihren warmen Atem an ihrem Daumen, den Honigatem, und zitterte.
»Ich habe neu angefangen«, flüsterte Synne. »Es geht jetzt besser. Willst du sehen, was ich bisher geschrieben habe?«
»Wir warten. Diesmal warten wir, bis du fertig bist, ja?«
»Alles klar. Wenn ich fertig bin, kriegst du es. Ruf bald an.«
Rebecca gab keine Antwort, aber das war nicht weiter ungewöhnlich.
12
Es war nicht mehr nur Synnes Geschichte. Noch immer war sie diejenige, die die großen Worte hatte, es war ihre Liebe, die heftig und verbal zwischen ihnen wehte, sie war es, die sich zu Boden geworfen hatte, sie war es, die immer dann in Verzweiflung stürzte, wenn Rebecca ihre platonischen Treffen abbrach und erklärte, sie dürften sich niemals wieder sehen, und dennoch war es Rebecca, die immer zurückkehrte. Es war Rebecca, die Synne anrief; es war Rebecca, die ab und zu, ein seltenes Mal, ein Herz auf Synnes Stirn, ihre Brust oder ihre Handfläche zeichnete, ehe sie gehen musste.
Es war nicht länger nur Synnes Geschichte. Aber es war auch keine wirklich gemeinsame. Es war eher etwas, das zum Teil Rebecca gehörte und zum Teil Synne. Sie trafen sich jetzt seit fünf Monaten, immer auf Rebeccas Initiative, manchmal ausgiebig, in einem Lokal zum Essen (niemals, niemals zu Hause bei Synne, da weigerte Rebecca sich ganz einfach), aber trotzdem waren sie den ganzen Abend beisammen, so wie damals am ersten Abend; dann wieder nur kurz, in einem Park, an einer Straßenecke, oft spät und am liebsten im Dunkeln.
Es war Januar, und Synnes Leben hatte sich verändert.
Das war nicht plötzlich gekommen. Die Veränderung hatte sich schleichend eingestellt, und weil sie mit dem Übergang vom Sommer auf den Winter einhergegangen war, hatte sie lange an der Überzeugung festgehalten, es habe mit den Jahreszeiten zu tun. Im Herbst und im Winter seien wir eben nicht so sozial. Es sei nicht so verlockend, abends auszugehen; nachdem sie nachmittags mit Cetacea durch die Straßen gestapft war, fühle sie sich zu Hause eben wohler. Außerdem dürfe sie das Tier nicht so oft allein lassen. Das Telefon störte sie nicht mehr; während sie früher bisweilen den Stecker herausgezogen hatte, um ihre Ruhe zu haben, konnten jetzt mehrere Abende vergehen, ohne dass es sich zu Wort meldete.
Um so mehr schaffte sie. Das fast unmerkliche Ausbleiben von Besuch hatte sie auf die Idee gebracht, ihren Schreibtisch aus ihrem Schlafzimmer in ihr Wohnzimmer zu versetzen. Jetzt hatte sie das Gefühl, zu sich zu finden, endlich nach Hause zu kommen, und sie schlief außerdem besser, wenn ihr Schlafzimmer ungeheizt blieb.
Sie hatte alles Alte verbrannt. Dafür hatte sie vier Abende gebraucht; die Blätter mussten sich einzeln kräuseln, um wirklich zu verbrennen, und dabei wurde ungeheuer viel Asche produziert.
Aus ihr würde niemals eine Lyrikerin werden.
Sie staunte darüber, wie leicht es gewesen war, als sie es endlich begriffen, akzeptiert, einfach als plausibel erkannt hatte. Jetzt schmunzelte sie über sich, ihre Träume, die übergroßen Phantasien, und außerdem hatte sie die undefinierbare und unbeschreibliche Freude ihrer Kindheit wieder entdeckt, die darin liegt, die Gedichte anderer zu lesen; die Mühsal, immer wieder etwas lernen zu müssen, lag hinter ihr.
Sie schrieb jeden Tag viele Stunden, in der Regel begann sie nach den Fernsehnachrichten; Cetacea war müde und satt und zufrieden, und Synne saß in ihrem zehn Jahre alten Trainingsanzug und Filzpantoffeln da und trank Kaffee mit Milch. Samstags las sie dann alles, es konnten viele, viele Seiten sein, manchmal brachte sie im Laufe einer Woche ein halbes Buch zustande; aber es war niemals gut genug,
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