Mea culpa
stehlen. Das Telefon klingelte fünf-, sechsmal am Tag. Rebecca tauchte zu den ausgefallensten Zeitpunkten bei Synne auf, stets atemlos, ob sie nun kam oder ging. In letzter Zeit hatte sie angefangen, sich sonntags früh in Synnes Bett zu stehlen. Gegen fünf. Ihrer Familie erzählte sie, sie sei im Büro, niemand fand etwas dabei, dass eine Mutter von kleinen Kindern die Stunden, in denen die Kinder schliefen, in ihre Karriere investierte. Sie kam, sie liebten sich, sie verschwand. Alles, noch ehe die Glocken zum Gottesdienst riefen.
Synne fuhr sie von der Arbeit nach Hause. Und das fast jeden Tag. Auf diese Weise hatten sie eine zusätzliche halbe Stunde. Es war schrecklich anstrengend. Um zwanzig vor vier jagte Synne nach Hause, holte ihr Auto und war um Viertel nach vier vor Rebeccas neuem Arbeitsplatz zur Stelle. Die Tagesmutter machte um fünf Uhr Feierabend.
Ab und zu wartete sie auf Rebecca, wenn diese morgens zur Arbeit kam. Einen Block weiter, das war ein etwas komplizierter, aber nicht allzu zeitraubender Umweg; dort war wenig Verkehr, sie wurden nicht beobachtet. Rebecca ging jeden Tag durch diese Straße, auch wenn Synne es nur zweimal pro Woche schaffte. Und sei es nur, um ihr ein Gedicht zu geben. Ein Buch. Eine Rose. Ab und zu eine Zeichnung.
Aber sie hatten mehr. Sie hatten legale Zeit. Die allerbeste. So ungefähr einmal im Monat; es waren Treffen, von denen Rebecca ihrer Familie erzählte. Sie konnten hocherhobenen Hauptes durch die Stadt gehen, ein wenig an den Schaufenstern vorbeibummeln, ihre Hände einander zufällig streifen lassen, im Vorübergehen, ohne dass irgendwer irgendetwas ahnte.
Es war eine glückliche Zeit. Es war eine Zeit, die auf Lügen, Heimlichtuerei und Verdrängung aufbaute, und das war ihnen auch klar, aber sie sprachen nicht darüber. Es war jedoch auch eine Zeit der Hoffnung.
»Kartoffeln?«
»Ja, bitte.«
Synne fand diese Idee immer noch unmöglich. Jetzt verzehrte sie Christian Schultzens Essen. Sie trank seinen Wein, sie plauderte mit seinen Kindern, die sie offenbar sympathisch fanden. Sie ging mit Christians Schultzens Frau ins Bett.
»Was machst du eigentlich so?«, fragte er und lächelte.
»Arbeite im Ministerium«, sagte Synne mit vollem Mund.
»Dort haben wir uns kennen gelernt«, fügte Rebecca auskunftsbereit hinzu. »Das habe ich dir doch erzählt.«
»Ach so. Abteilungsleiterin?«
»Mmmnein.«
»Büroleiterin?«
»Nein, ich bin Sachbearbeiterin«, sagte Synne. »Eine schnöde, sterbliche Sachbearbeiterin.«
Benedicte kicherte und sah ihren Vater an.
»Sachbearbeiterin hat keinen Sinn«, sagte sie.
Die Eltern schwiegen beide. Synne lachte.
»Ich frage mich selbst, ob der Job einen Sinn hat. Er kann jedenfalls tödlich langweilig sein.«
Christian Schultz nahm sich noch ein Stück Lammbraten. Der war grau und durchgebraten, und die Soße schmeckte trotz des Schusses Schlagsahne, der diese peinliche Tatsache tarnen sollte, unverkennbar nach Brühwürfel.
»Dann könntest du dir doch etwas anderes suchen«, sagte er, ohne Synne anzusehen.
»Sicher, aber die Zeit hatte ich noch nicht … es gibt so viel anderes. Ich habe einen Hund.«
»Was ist denn das für ein Hund?«
Das war Martin.
»Ein Bastard.«
»Papa, was ist ein Bastard?«
»Eine Mischrasse. Das heißt Mischrasse.«
»Du kannst es auch Bastard nennen«, erklärte Synne. »Nur auf Englisch ist es ein Schimpfwort. Das bedeutet einfach, dass die Eltern sich freiwillig füreinander entschieden haben und nicht zur selben Rasse gehören. Solche Hunde können ungeheuer niedlich sein. Und sie sind gesunder und klüger als andere.«
»Oma und Opa haben zwei englische Setter«, erklärte Benedicte.
Setter. Nervöse, quengelige Dreckstölen.
»Ach, ja?«, sagte Synne. »Dann seid ihr ja an Hunde gewöhnt.«
»Aber die wohnen draußen«, sagte Caroline.
Damit hatte sie zum ersten Mal den Mund aufgemacht.
»Die dürfen nicht ins Haus, sie machen so viel Dreck. Sie haben ein Hundehaus. Das ist ganz toll, mit Dachrinne und allem. Aber Opa geht mit ihnen auf die Jagd.«
»Eine Woche jeden Herbst, was?«, sagte Synne rasch und starrte ein Stück wässrigen Rosenkohl an. »Mein Hund darf in die Wohnung. Wir gehen fast jeden Tag in den Wald. Ja, und deshalb muss ich ganz schön viel putzen.«
»Können wir nicht einen Hund haben?«
»Iss jetzt auf.«
»Ja, aber Papa …«
»Iss, hab ich gesagt. Und es gibt keinen Hund.«
Der Rosenkohl war ganz einfach ungenießbar.
»Rebecca
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