Mea culpa
erzählt, du schreibst Kinderbücher«, meinte Christian plötzlich mit einem Lächeln, das Synne nicht deuten konnte.
Synne merkte, wie sie rot wurde; sie wehrte sich dagegen und dachte an Eiswürfel und Zitronen und Chlor, meistens half das, diesmal aber nicht.
»Na ja. Schreiben ist zu viel gesagt. Ich weiß ja nicht, ob überhaupt etwas dabei herauskommt.«
Sie schaute Hilfe suchend zu Rebecca hinüber, doch Henrik brauchte Hilfe beim Zerschneiden des Fleisches.
»Was denn für Bücher?«, fragte Christian. »Für welche Altersgruppe, meine ich.«
»Ach, da bin ich mir noch nicht so sicher.«
»Noch nicht sicher? Muss man das nicht ganz klar vor Augen haben? Man sollte immer ein klar umrissenes Ziel haben, ehe man sich an die Arbeit macht.«
Synne gab keine Antwort. Der Rosenkohl hatte nun schon viele Runden auf ihrem Teller gedreht und zeigte jetzt ernsthafte Zerfallstendenzen.
»Ich selber stöhne immer wieder darüber, wie schlecht die meisten Kinderbücher sind«, erklärte Christian Schultz. »Zum Glück interessieren die Kinder sich jetzt langsam mehr für Sachbücher. Sogar Henrik …«
Er nickte dem Jungen zu, der versuchte, ein Stück Fleisch und eine Kartoffel auf seine Gabel zu spießen, ehe er aufgab und die Finger zu Hilfe nahm.
»Sogar Henrik liest lieber über Dinosaurier.«
Synne war es jetzt egal, wie rot sie war. Sie wusste genau, wie sie jetzt aussah, feuerrot im ganzen Gesicht und mit Schweißtropfen auf der Oberlippe.
»Nichts kann Kinderbücher ersetzen«, sagte sie und ertappte sich dabei, dass sie viel zu laut geworden war. »Literatur ist überhaupt unersetzlich.«
Sie biss sich auf die Lippe, hörte, wie banal das war, wie politisch korrekt sie hier daherredete; und sie konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen, als auf Christian Schultz einen oberflächlichen Eindruck zu machen.
»Über Geschmack lässt sich eben streiten.« Er lächelte. »Welche Bücher würdest du denn empfehlen?«
Synne gab keine Antwort und suchte wieder Hilfe, doch Rebecca war jetzt aufgestanden, um die Soße noch einmal aufzuwärmen.
»Na, was empfiehlst du?«
Er sah ganz souverän aus, sonnenbraun und mit einem gewissen Funkeln in den Augen, dem Synne sich nicht stellen wollte.
»Astrid Lindgren«, murmelte sie an die Tischdecke gewandt. »Anne-Cath Vestly.«
Christian Schultz lachte, ein selbstsicheres, reiches und männliches Lachen.
»Originell. Überaus originell.«
»Christian!«
Rebecca stand mit einer dampfenden Sauciere mitten im Zimmer. Sie trug jetzt ihre Abteilungsleiterinnentracht, einen weiten Wollrock und eine passende Bluse mit kleinen Applikationen.
»Jetzt hör aber auf.«
Als sie die Sauciere auf den Tisch stellte, schwappte die Soße braun und zäh auf die Tischdecke. Christian Schultz ließ seinen Blick von einer zur anderen wandern. Synne starrte den braunen Fleck an; der breitete sich langsam aus, dann durchtränkte er den dicken Deckenstoff. Sie hob den Blick zu Christian. Sein Gesicht zeigte auf übertriebene Weise, dass er gar nichts mehr begriff, und das wurde noch dadurch betont, dass er Messer und Gabel in der Luft hielt. Dennoch: etwas an seinem Mund – ein winziges Zucken seiner Oberlippe – drückte etwas ganz anderes aus, etwas, das an Unglauben heranreichte.
»Können wir nicht trotzdem einen Hund haben?«, quengelte Henrik.
Um drei Uhr nachts ging das Telefon.
»So kann es nicht weitergehen«, weinte sie. »Ich kann einfach nicht mehr lügen.«
Rebecca hatte ihre erste wirkliche Begegnung mit den schwarzen Löchern. Es sollte noch mehr davon geben, sehr viel mehr, aber gerade jetzt, an diesem Abend, in dieser Nacht, hatte Synne zum ersten Mal eine Ahnung davon, wenn es auch nur der Hauch einer Ahnung war, was sie einem anderen Menschen antat.
Am nächsten Tag stand Synne eine Stunde lang an ihrem festen Treffpunkt. Sie war schon um Viertel vor vier an der Nachhausefahrstelle, und das alles brachte ihr nur Minuszeit auf ihrer Stechkarte ein.
Zu Hause hing ein Zettel am Kühlschrank. Eine handgeschriebene kleine Notiz, abgerissen von einem größeren Bogen. Der Zettel war mit einem Magneten in Schweineform am Kühlschrank befestigt; das Schwein wälzte sich in Leckerbissen, und auf seinem Bauch klebte ein Plakat mit der Aufschrift »Keep out«.
Synne!
Es geht nicht mehr. Ich bringe das nicht. Ich kann das nicht.
Danke für alles Schöne.
Lass mich in Ruhe. R.
PS. Die Schlüssel liegen im Briefkasten. D. S.
Sie lag auf dem Boden und wusste
Weitere Kostenlose Bücher