Mea culpa
nicht, wie sie dorthin gekommen war. Überall war Blut zu sehen, der Hund hatte zu allem Überfluss eine rote Schnauze. Als sie sich endlich ins Bad geschleppt hatte, ging ihr sehr schnell auf, dass die Wunde genäht werden musste. Ihre Augenbraue war fast gespalten, und die Wunde klaffte wie eine groteske, fast obszöne Öffnung.
Sie fuhr ins Krankenhaus. Sie bestand darauf, nicht betäubt zu werden.
Rebecca hatte ihr nicht einmal ihren Namen gegönnt.
Nicht einmal ihren Namen.
15
Petter ist wieder da. Nachdem ich ihn anderthalb Wochen nicht gesehen hatte, war ich nicht mehr nur traurig, ich machte mir auch immer größere Sorgen. Ich erkundigte mich bei Asha nach ihm, aber sie schien verlegen zu sein. Endlich ging mir auf, dass sie Angst hatte, er könne mir lästig fallen. Ich brauchte zwei Tage, um sie vom Gegenteil zu überzeugen. Jetzt kommt er immer mit ihr her, und gestern schaute er zu meiner Überraschung sogar allein vorbei. Ich gebe ihm jetzt Norwegischunterricht. Es fällt mir schwer, mir ein unnützeres Wissen für einen armen Jungen auf Mauritius vorzustellen. Aber ihm macht es Spaß. Er lernt gern und ungeheuer schnell. »Heißa, Brüderlein, komm herein«, sagt er und grinst, wenn er mich sieht. Ich lache und versuche, ihm zu erklären, dass nur ich das sagen kann. Er könnte höchstens große Schwester sagen. Heißa, große Schwester mein, hat er heute gesagt.
Jetzt, nach fast vier Monaten auf Mauritius, habe ich den Tag langsam wieder im Griff. Der Rhythmus ist noch nicht ganz wiederhergestellt, das muss ich zugeben, aber ich kann immerhin gegen drei Uhr morgens einschlafen, im Stockfinsteren, todmüde. Wenn ich Glück habe, kann ich das heisere Lachen eines großen hellgrauen, krähenartigen Vogels mit knallgelbem Schnabel überhören, der jeden Tag bei Sonnenaufgang mit seiner Kakophonie loslegt. Tagsüber schlafe ich auch am Strand nicht mehr ein. Hervé hat mich zum nächstgelegenen Bookshop gefahren, wo ich zwanzig neue Taschenbücher erstanden habe. Auf Englisch lese ich nicht so schnell, aber dann habe ich auch länger etwas davon.
In dieser Woche war ich zweimal im Dorf. Es ärgert mich, dass ich dort für eine Südafrikanerin gehalten werde. »Are you from South Africa, Ma’am?« Warum sollte ich? Wirke ich herablassend? Liegt es daran, dass ich Englisch spreche? Die meisten Reisenden, die auf diese Insel kommen, sprechen zwar Französisch oder Deutsch, aber es gibt schließlich noch andere englischsprachige Länder als Südafrika. In Gedanken verfluche ich meine Eltern. Mit fünf Jahren konnte ich fließend Französisch. Jetzt kann ich stockend um Milch und Brot bitten.
»No, God forbid«, wehre ich ab, und dann lachen sie herzlich.
Ein weiterer Brief ist eingetroffen. Er ist umadressiert worden. Ich habe keine Ahnung, wer das gemacht haben kann, was ist zu Hause denn bloß los? Er trägt einen anderen Absenderaufdruck, einen um einiges erschreckenderen; ich würde den Brief gern ungelesen verbrennen, aber das wage ich dann doch nicht. Ich schiebe ihn ungeöffnet zwischen Strohdach und Plastikschicht, und für Momente kann ich sogar vergessen, dass er vorhanden ist.
Außerdem ist Zyklonwarnung gegeben worden. Eigentlich liegt die Regenzeit hinter uns, aber ein Nachzügler von Wirbelwind hat sich nur dreißig Meilen weiter im Norden groß und fett aufgeblasen und kommt in einem Bogen auf uns zu. Ich habe das zuerst daran gesehen, dass die Boote an Land gezogen worden sind. Schnell arbeitende Männer in Shorts und T-Shirt haben die Strandlinie von Booten befreit, so weit das Auge reicht. Dass sie sich so viel Mühe machen, finde ich ein wenig besorgniserregend. Hervé versucht, mich zu beruhigen, aber trotzdem läuft er um das Haus, klopft an Dach und Wände und glaubt, ich merkte das nicht.
»You keep indoor, okay?«
Sagt er. Und lächelt wieder.
Die Sturmwarnung hat mir zu denken gegeben, und jetzt regnet es bereits kräftig. Der Wind ist stärker geworden, und ich weiß nicht, was ich mit dem Wohnzimmerfenster machen soll, das keine Läden hat. Keiner der Bungalows, die ich gesehen habe, hatte Fensterläden. Aus Mangel an besseren Hilfsmitteln verkeile ich einen Stuhlrücken unter dem Fenster, den ich als Treibholz gefunden habe. Ich schaue hinaus, kann aber nicht entscheiden, ob wirklich ein Sturm heraufzieht. Jetzt habe ich immerhin anderes im Kopf. Soll der Brief doch da oben liegen bleiben. Vielleicht nimmt der Zyklon ihn mit, und dann ist es nicht meine Schuld, dass er
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