Mea culpa
angerührt.«
»Seit meinem ersten Mal oder seit deinem?«
»Fordere das Glück jetzt nicht heraus«, sagte Rebecca, und Synne hörte, dass sie dabei ein wenig lächelte.
Synne lag mit geschlossenen Augen da. Synne war glücklich. Vor zehn Minuten noch war sie von Schuldgefühlen erfüllt gewesen.
»Ich habe auch schreckliche Angst«, flüsterte Rebecca plötzlich.
Es war jetzt dunkel, und das rosa Licht der Halogenlaterne vor dem Fenster tunkte ihre Körper in ein feminines, unschuldiges Licht; es war fast jungfräulich.
»Ich habe auch schreckliche Angst … die Kinder zu verlieren.«
Dann weinte sie ein unbekanntes Weinen, ganz anders und fern, weit außerhalb von Synnes Reichweite. Synne tat ihr Bestes, begriff aber, dass das nicht gut genug war.
In dieser Nacht blieb Rebecca bei Synne, zum ersten Mal.
Endlich schlief sie ein, und sie sprach im Schlaf. Das meiste war undeutlich, eher ein Wimmern. Aber ab und zu, und nur, weil Synne es eigentlich nicht hören wollte und deshalb unwillkürlich besonders genau hinhörte, ab und zu hörte sie, wie Rebecca ihren jüngsten Sohn rief.
Synne schloss die Ohren, so gut sie konnte, und sie dachte daran, dass sie dabei war, alle Freundinnen und Freunde zu verlieren.
17
Rebeccas Depressionen waren für beide schrecklich anstrengend. Eben, weil sie auch Synne zerstörten, weil sie ihre Kräfte fraßen, weil sie sie wie ein Alb ritten und das brüchige Fundament wegrissen, das sie nach jedem Sturz unter ihnen errichten konnte, hinderten sie sie ein Stück weit daran, Rebeccas Schmerz zu sehen, jedenfalls in seinem vollen Umfang.
Es begann immer mit einem Rückzug. Anfangs, vielleicht während der ersten anderthalb Jahre, war dieser Rückzug deutlich und oft einfach nur verbal; Rebecca bat um einige Tage Ruhe, ziemlich schroff, sie entzog sich im wahrsten Sinne des Wortes, ohne sich die Mühe zu machen, nach einer Entschuldigung zu suchen. Anfangs klammerte Synne sich an sie, um dann, nach fortgesetzter Abweisung, beleidigt um sich selbst zu kreisen, aufgelöst in Tränen und Verzweiflung und mit der heiligen Überzeugung, dass Rebecca es diesmal, dieses Mal, schaffen würde, für ewig und alle Zeit fortzubleiben. Eine zynischere Analyse hätte ihr die Sache leichter gemacht; sie wusste im Grunde, dass Rebecca wieder auftauchen würde, mit hängendem Kopf, nah, körperlich anspruchsvoll und überwältigt von Dankbarkeit, weil Synne durchgehalten hatte. Aber Synne Nielsen besaß diese Art von Zynismus nicht.
Vielleicht lag es daran, dass Rebecca sah, was sie auch Synne antaten, diese schrecklichen Phasen, dass ihre Vorzeichen langsam undeutlicher wurden. Rebecca war nicht mehr so direkt; früher hatte sie zum Beispiel bisweilen Abmachungen gebrochen, feste Verabredungen, die eigentlich heilig waren. Ohne auch nur ein Wort zu sagen. Jetzt war sie höflich, aufgesetzt freundlich, es gab nichts, was Synne hätte greifen und ihr vorhalten können, um Rebecca dann in vorwurfsvollem Ton klar zu machen, was ihr da zugemutet wurde.
Allmählich sehnte Synne sich nach den offenkundigeren Depressionen zurück. Mit denen hatte sie besser umgehen können. Es fiel ihr leichter, sich an Rebeccas Ungerechtigkeit zu klammern als an ihre Trauer. Die Wiedervereinigung schmeckte ein wenig süßer, als Rebecca ihr noch mit bedingungslosen Entschuldigungen gegenübertrat; heute gab es aber keinen Grund mehr, um Verzeihung zu bitten – die schwarzen Löcher waren nicht ihre Schuld, Synne fiel und fiel einfach und fand nirgendwo Halt.
Sie war immer erschöpft, wenn Rebecca zurückkehrte.
Sie gingen mit dieser Belastung auf so unterschiedliche Weise um.
Sie waren so unterschiedlich.
Synne hatte sich in eine vierzehn Jahre ältere Frau verliebt. Sie war glücklich und stolz darauf, dass diese über vierzig Jahre alte Frau sie wollte. Rebecca war Mutter. Nicht nur Mutter, sondern Mutter von vier Kindern, etwas, das Synne mit hilfloser Bewunderung erfüllte. Die vierzehn Jahre, die einst so abschreckend gewirkt hatten, waren zu einem Triumph geworden. Ab und zu zitterten sie ein wenig bedrohlich zwischen ihnen, wenn sie zu deutlich wurden, wenn Rebecca zum Beispiel nicht wusste, wie in den siebziger Jahren die Schlaghosen in die ungeschnürten Stiefel gestopft worden waren, sich aber – wenn auch nur vage – an den Osloer Rock’n’Roll-Krawall erinnern konnte. Synne wusste es nicht so recht, aber ab und zu hatte sie das Gefühl, dass der Altersunterschied auch noch andere Folgen
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