Mea culpa
Trümmern liegt, aber hier geht es um die Kinder! Um meine Enkelkinder!«
Ihre Stimme brach, und sie machte sich am Schloss ihrer geräumigen Tasche zu schaffen und zog ein Taschentuch hervor, frisch gebügelt und mit scharfen Kanten und einer kleinen Blumenstickerei in der einen Ecke. Geübt betupfte sie damit abwechselnd das rechte und das linke Auge, sie rieb nicht, sie tupfte nur, sodass ihr diskret aufgetragenes Make-up keinerlei Schaden nahm.
Sie hatte stahlgraues, sorgfältig frisiertes Haar. Sie hatte keine Dauerwelle und auch keine natürlichen Locken, die Haare waren frisiert, Synne konnte deutlich den Geruch eines anderen Menschen wahrnehmen, den ihrer Großmutter, und ihr schauderte, sie sah sich verzweifelt und ratlos im Zimmer um und ließ sich wieder auf das Sofa fallen.
»Das Ganze ist so gemein, so schmutzig, so … so vulgär, dass ich kaum Worte finde. Und mein Mann… mein Mann ist da ganz meiner Meinung. Die Vorstellung, dass ihr beide, meine Rebecca und du …«
Von dieser Vorstellung war sie offenbar überwältigt, denn sie konnte nicht weitersprechen, aber ihr Gesicht, das nichts sagend hübsche und gepflegte Gesicht, verzog sich zu einer Grimasse, die ihre Gedanken deutlich verriet. Jetzt weinte sie wirklich. Ihr Taschentuch war nicht mehr frisch gebügelt.
»Es ist sicher nicht klug, dass du es anderen erzählst, wenn ich darüber schweige«, murmelte Synne.
Damit hatte sie zum ersten Mal überhaupt etwas gesagt. Warum hatte sie diese Frau in ihre Wohnung gelassen?
»Das Leben, das du da führst«, schnaubte die Frau. »Dieses so genannte Leben ohne Verantwortung, ohne Verpflichtungen … nur mit diesem …«
Für einen Moment gestattete sie es sich, die Symmetrie zu brechen, sie drehte sich zur weiterhin fiependen Cetacea um.
» … diesem Hund. Wie konntest du das nur über dich bringen?«
Eine Antwort wurde offenbar nicht erwartet.
»Gewissen, Synne Nielsen. Gewissen! Weißt du überhaupt, was das ist? Offenbar nicht. Eine Schlange im Paradies, das bist du. Und eins musst du wissen!«
Jetzt brüllte sie geradezu.
»Christian hat Rebecca verlassen, nicht umgekehrt. Und wir können ihn sehr gut verstehen, mein Mann und ich. Sehr gut! Niemals, niemals hätten wir gedacht, dass unsere Tochter in so etwas hineingezogen werden könnte, in etwas so …«
Ihre Knie zitterten, obwohl Synne doch saß. Ihr Herz hämmerte so heftig, dass die Brust ihres T-Shirts bebte. Kopf hoch. Hoch. Nicht nach unten schauen.
Sie hob den Blick, konnte ihn aber noch immer nicht auf die Frau richten, die ihr da gegenübersaß.
Natürlich hatte sie die Ausmaße der massiven Abweisung geahnt, mit der Rebecca konfrontiert worden war, aber weil ihr selbst das niemals passiert war, weil es ihr niemals passieren könnte, weil es unmöglich schien, dass ihr jemals dermaßen der Rücken zugekehrt werden könnte, so kompromisslos und brutal, weil diese Vorstellung ihr vollständig fremd war, hatte sie sich diese Intensität doch nicht ausmalen können. Oder vielleicht hatte sie das auch nicht über sich gebracht.
»Was willst du eigentlich von mir hören?«
Synne versuchte, ihren Körper unter Kontrolle zu bekommen, die Beine zu schließen, die Hände in den Schoß zu legen; am Ende saß auch sie fast symmetrisch da, aber das kam ihr so unnatürlich vor, dass sie einen krummen Rücken davon bekam.
»Hören? Hören??? Findest du nicht, dass ich in dieser Angelegenheit genug von dir und über dich gehört habe?«
Zum zweiten Mal bewegte die Frau sich; sie beugte sich vor und schlug mit der Hand auf den Couchtisch.
»Wir haben Rebecca zu uns genommen. Als unser eigenes Kind. Wir haben sie geliebt wie unser eigen Fleisch und Blut. Wir haben ihr alles geboten, alle Möglichkeiten. Und dann das. Nach all diesen Jahren, in denen mein Mann und ich uns aufgeopfert haben. Das ist nun der Dank. Und das alles verdanken wir dir, Synne Nielsen! Rebecca ist … sie ist verführt worden. Das hier ist einfach nicht natürlich für sie.
Das weiß ich! Ich bin ihre Mutter, Synne Nielsen, und du, du bist nur eine zufällige Passantin in ihrem Leben!«
»Das reicht jetzt.«
Synne begriff nicht, woher es kam. Aber es kam mit hartem Klang, und die Frau fuhr zusammen.
»Das reicht jetzt«, wiederholte Synne. »Geh jetzt.«
Vielleicht hatte sich Frau Lange verausgabt. Vielleicht kam Synne ihr gefährlich vor, mit ihren hundertachtzig Zentimetern und dem fiependen, aber großen und nicht angeleinten Hund. Auf jeden Fall
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