Mea culpa
machte sie sich erneut an ihrer Tasche zu schaffen, stopfte das feuchte Taschentuch hinein und ließ blitzschnelle, wütende Schritte über das Parkett hämmern.
Frau Lange knallte die Tür zu. Ohne darüber nachzudenken, riss Synne die Tür auf und knallte sie noch einmal zu, diesmal viel energischer. Dann rief sie Rebecca an.
Die kam an diesem Abend zu Synne. Ohne Vorankündigung, sie hatte die Verantwortung für die Kinder, aber sie hatte wohl irgendwen zur Betreuung gefunden. Ihre Augen zeigten einen neuen Ausdruck, nackt und verängstigt, und Synne bereute bitterlich, ihr überhaupt vom Besuch ihrer Mutter erzählt zu haben. Rebecca kroch und flehte um Vergebung, die sie doch überhaupt nicht brauchte. Es war unerträglich, und Synne versprach ihr, die Erinnerung an Rebeccas Mutter aus ihrem Gedächtnis zu tilgen und nie mehr an diesen Zwischenfall zu denken.
In diesem Jahr kam Frau Lange noch zweimal bei Synne zu Besuch.
Rebecca gegenüber erwähnte sie das nie.
33
»Das lag draußen. Und es ist fast aufgeweicht.«
Asha reicht mir den Briefumschlag, der wirklich beinahe schon in Auflösung übergegangen ist, die Kanten sind nicht mehr scharf, sie sehen fast wie Fell aus, aber die Schrift ist weiterhin gerade noch lesbar. Ich will diesen Brief nicht, ich höre nicht einmal auf, auf die Tasten einzuhämmern. Hart und wie auf eine Trommel, ich hatte fast – aber nicht absolut und vollständig – vergessen, dass dieser Brief überhaupt existiert.
»Der ist aus dem Ausland«, sagt sie leise und hält den Umschlag mit ausgestrecktem Arm von sich ab, um ihn zu lesen. »Oslo ist die Hauptstadt von Norwegen …«
»Leg ihn weg«, sage ich hart und schreibe weiter. »Auf den Küchentisch. Er ist für mich.«
»Warum hast du ihn nicht aufgemacht?«
Sie dreht den Brief um, nimmt ihn in Augenschein, es ist deutlich zu sehen, dass er noch ungeöffnet ist.
Ich fahre zu ihr herum.
»Leg ihn weg, habe ich gesagt! – Jetzt. Sofort.«
Dann reiße ich den verdammten Brief an mich, den der Zyklon nicht zerstören konnte und der offenbar aus dem Dach gerutscht ist. Den Brief von der Osloer Polizei. Asha lehnt sich an die Wand und starrt mich an. Ich will nicht gesehen werden und verlasse das Haus. Aber es hilft nichts. Sie geht das alles nichts an. Sie macht bei mir sauber, zum Henker. Ihre Sandalen klick-klacken hinter mir bis zum Strand hinunter.
»Der ist von der Polizei, nicht wahr? Das ist ein Brief von der Osloer Polizei!«
Mit raschen, wütenden Bewegungen ziehe ich mein Hemd aus und streife meine Shorts ab. Mein Badeanzug ist nach dem letzten Bad noch immer feucht. Der Brief wird unter das kleine Kleiderbündel geschoben, und als zusätzliches deutliches Signal lege ich einen mittelgroßen Stein darauf.
»Finger weg!«, sage ich mit harter Stimme und laufe ins Wasser.
Es ist zu warm. Es ist absolut nicht erfrischend. Heute ist es außerdem ziemlich trüb, grün und kalkig, und ich muss weit hinausschwimmen, ehe ich das klare Wasser finde, von dem ich doch weiß, dass es irgendwo vorhanden ist. Bald bin ich weiter draußen als je zuvor, selbst als bei dem Wettschwimmen, das Petter jedes Mal initiiert, wenn wir zusammen hier sind. Hai, denke ich plötzlich, und ich halte vor Schreck inne und trete Wasser. Niemand hat Haie erwähnt. In den Reisebroschüren steht kein Wort über solche Ungeheuer. Am Strand ist kein Warnschild aufgestellt. Mein Blut braust, und das Wasser ist weiterhin undurchsichtig. Ich mache kehrt. Wenn Petter hier wäre, hätten wir zusammen einen neuen Rekord aufgestellt.
Sie sitzt auf einem Stein im Schatten und wartet.
»Hast du nichts anderes zu tun?«, murmele ich, ohne in ihre Richtung zu blicken.
»Egal, wie weit du schwimmst, der Brief wird doch auf dich warten, wenn du zurückkommst«, erwidert sie. »Und da kannst du ihn auch gleich öffnen.«
Ich bleibe stehen.
»Das geht dich rein gar nichts an, Asha. Nichts! Meinst du, ich hätte Angst davor, ihn zu öffnen? Meinst du das? Ha?«
Der Brief flattert blitzschnell und bedrohlich unter ihrer Nase vorbei. Mit wütenden Bewegungen reiße ich ihn auf, ziehe einen zweifach gefalteten A 4-Bogen heraus, schleudere den Umschlag vor Asha auf den Boden und brülle:
»So! Siehst du! Ich hab keine Angst vor diesem Brief. Aber das ist verdammt noch mal nicht deine Angelegenheit! Du bist entlassen! Hörst du? Ich brauche weder dich noch deinen Drecksbengel. Mach, dass du wegkommst!«
Asha sieht mich nicht mehr an. Langsam erhebt sie
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