Meade Glenn
ihre Glieder schmerzten. Dennoch hatte sie den Entschluss gefasst, das Krankenhaus auf eigene Verantwortung zu verlassen. Ihre Mutter hatte eingewilligt, bei Daniel zu bleiben und sie über jede Veränderung seines Zustandes umgehend telefonisch zu informieren. Zuerst versuchte sie, ihre Tochter umzustimmen, aber es war zwecklos. Nikki war fest entschlossen, ihrer Intuition zu folgen.
Sie musste herausfinden, was in dieser Stadt los war. Es fiel ihr nicht leicht, ihren Sohn allein zurückzulassen. Zum Glück hatte sich sein Zustand verbessert und gab Anlass zur Hoffnung.
Schon allein bei dem Gedanken an Daniel schossen ihr erneut Tränen in die Augen. Sie nahm ihre verschmutzten, zerrissenen Sachen aus dem Eckschrank und zog sie an. Das Handy war noch mit dem Aufladegerät verbunden. Sie warf beides in ihre Tasche und stahl sich davon. Bevor sie ein Taxi rief, um nach Hause zu fahren, musste sie sich von ihrer Mutter verabschieden.
66
Chesapeake
1930 Uhr
Gorev wachte auf, als er den Wagen hörte, der in die Einfahrt fuhr. Karla hatte sich wie ein Baby zusammengerollt und schlief. Er zog vorsichtig seinen Arm unter ihrem Kopf hervor, stieg aus dem Bett und steckte seine Beretta ein, die auf dem Nachttisch lag.
Gorev schlich über den Korridor zu den vorderen Zimmern und spähte durch die Vorhänge. Es hatte aufgehört zu regnen.
Der Plymouth stand auf dem Kiesweg vor dem Haus. Mohamed Rashid schloss gerade den Wagen ab.
Gorev wandte sich schnell vom Fenster ab und lief wütend die Treppe hinunter. Er hatte die Haustür fast erreicht, als Mohamed sie öffnete und ihm einen erstaunten Blick zuwarf.
»Na, wie ist dein Treffen mit Visto gelaufen?«
Rashid fiel das aschfahle Gesicht des Russen auf. »Was ist los, Gorev? Gibt es Probleme?«
»Keine, die ich nicht lösen könnte, aber darüber sprechen wir später.« Er wies mit dem Daumen aufs Wohnzimmer. »Zuerst haben wir beide ein Wörtchen miteinander zu reden.«
Das Weiße Haus
16.15 Uhr
»Liegt uns jetzt endlich ein Plan vor, wie wir die Stadt evakuieren können, verdammt und zugenäht?«
Al Brown, der Bürgermeister der Hauptstadt, schlug mit der geballten Faust auf den Tisch im Sitzungsraum und funkelte Paul Burton wütend an. Es waren vier Personen anwesend: Brown, der Präsident, Paul Burton und Gavin G. Lord, der Experte für die Evakuierung der Stadt.
Sie saßen in den schweren braunen Ledersesseln der Kabinettsmitglieder, deren Namen in Messingschilder auf den Rückseiten der Sessel graviert waren. Brown, dessen kahler schwarzer Schädel glänzte, trug einen seiner dreiteiligen Markenanzüge und eine Fliege mit gelben Punkten. Er war an diesem Nachmittag nicht zu Scherzen aufgelegt. Sein offener Ton brüskierte den Präsidenten nicht. Er war daran gewöhnt.
»Liegt er vor oder nicht, Mr. Burton?«
Burton, der die Sitzung eröffnet hatte, zeigte auf Gavin Lord, der neben ihm saß. Dieser schlug ein dickes Buch mit blauem Einband auf. Der Titel lautete:
KRISENEVAKUIERUNGSPLAN FÜR WASHINGTON, D.C.
Dieses Buch stammte aus dem Jahre 1996 und hatte einen Umfang von dreihundert Seiten. »Mr. Lord wird die Frage beantworten, doch zunächst möchte ich betonten, dass uns bereits ein Plan vorliegt. Er stammt… «
»Diesen Bericht habe ich vor drei Jahren gelesen. Das ist der reinste Müll«, stieß Brown aufgebracht hervor. »Der Plan ist keinen Penny wert. Wollen Sie wissen, wozu der gut ist? Mit diesem schönen Papier kann man sich den Hintern abwischen.«
»Ich gebe zu, dass der Bericht veraltet ist, aber es wurden Änderungen vorgenommen«, erwiderte Lord mit geröteten Wangen. Der große ruhige Mann Mitte fünfzig mit einem dünnen Schnurrbart hatte eine mausgraue Mähne und trug eine dicke Brille. »Es ist vom Ansatz her ein effektiver, gut durchdachter Plan.«
»Sicherlich. Wenn Ihnen der Arsch nicht auf Grundeis geht und Sie die Stadt ganz gemütlich verlassen können. Soweit ich mich erinnere, geht dieser Bericht von einer Evakuierung innerhalb von sechsunddreißig Stunden aus.«
»Hm, nun…«
»Uns stehen keine sechsunddreißig Stunden zur Verfügung, Mr. Lord. Wahrscheinlich knapp zwei Stunden. Wir hatten es zuvor noch nie mit einer derart gefährlichen Waffe zu tun.
Dieser Bericht geht auf die Katastrophe, der wir gegenüberstehen, nicht ein. Er enthält keine Opferzahlen und keine Vorschläge, wie wir die Verletzten auf dem schnellsten Wege aus den verseuchten Zonen herausschaffen und in Notlazarette bringen können. Nichts,
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