Meade Glenn
schlechter wurde, falls Busch nicht bis zum Mittag zurückgekommen war. Er konnte später nach Dachau zurückkehren.
Das Warten zehrte an seinen Nerven. Er ging zum Wagen und fuhr auf den Hügel am Rand der Stadt. Nachdem er an der anderen Seite heruntergefahren war und die Ampel überquert hatte, erblickte er das Straßenschild der Nibelungenstraße.
Fünf Minuten später erreichte er das alte Konzentrationslager.
Der Parkplatz für Touristenbusse war leer. Volkmann parkte seinen Ford in der Nähe des neuen Eingangs und ging zum Tor.
Die Bahngleise waren nicht mehr da, aber den alten Graben gab es noch. Er war mit Unkraut und Brombeerbüschen überwachsen, und Volkmann konnte die Wachtürme sehen, die sich noch immer ringsum erhoben.
Das Tor stand offen, aber ein Schild daran verkündete, daß das Lager im Moment für Touristen geschlossen sei. Ein Lastwagen mit Baumaterial parkte im Innenhof, aber Volkmann konnte niemanden sehen. Also ging er einfach hinein.
Das Lager sah fast noch genauso aus, wie es während des Krieges gewesen sein mußte, war allerdings gesäubert und etwas verschönert. Das Wirtschaftsgebäude, die U-förmige Baracke, die einmal als Lager und Verwaltungsgebäude gedient hatte, beherbergte jetzt ein Museum und ein Kino. Dahinter lagen die Zellen, in denen die SS einzelne Häftlinge isoliert hatte, der
›Bunker‹.
Noch immer umgaben die alten Betonmauern und Stacheldrahtzäune das Lager, die einzigen Zeugnisse aber von den langen Reihen der Häftlingsbarracken, die hier einst gestanden hatten, waren zwei einzelne Nachbauten aus Holz. Sie sollten den Besuchern zeigen, wie die Häftlinge in dem Elend des Lagers dahinvegetiert hatten. Vor dem Blockhaus lag der Appellplatz, wo die Häftlinge jeden Morgen hatten antreten müssen. Im rechten Winkel zum Gebäude verlief die Lagerstraße, an deren Seiten die überfüllten Unterkünfte für die Lagerinsassen gestanden hatten.
Die Originaltore des Lagers, über ihnen noch immer der höhnische Satz ARBEIT MACHT FREI, erhoben sich links im
›Jourhaus‹, dem Wachgebäude aus Beton, das einmal den Zugang zum KZ Dachau kontrolliert hatte. Volkmann konnte etwas weiter entfernt zwischen Tannen einen roten Ziegel-schornstein erkennen, dort, wo die alten Krematorien standen.
An der Wand des modernen Anbaus an der linken Seite des Wirtschaftsgebäudes hing ein Schild mit der Aufschrift: Verwaltung.
Volkmann öffnete die Tür und stand in einem großen, leeren Büro. An den Wänden standen Reihen von mit Büchern vollgestopften Metallregalen. Sie bildeten die Archivbibliothek, wie ein weiteres Schild verkündete. Nach rechts ging eine Tür ab, an der ein anderes Schild hing: Museum.
Er öffnete die Tür. Das Museum des Blockhauses war lang und breit. Jemand hatte die Deckenlichter angelassen, und in den dicken Wänden gab es in Abständen von zwei Metern Fenster.
Das blasse winterliche Sonnenlicht fiel herein, und Staubflocken schwebten in der Luft.
Vergrößerte Fotos hingen von den Wänden herunter, und einige Ausstellungsstücke befanden sich in Glaskästen. In einem ein Berg von Brillengestellen, wie ein groteskes Kunstwerk, in einem anderen die zerschlissene, gestreifte Häftlingskleidung des Lagers, an der ein zerrissener gelber Judenstern aufgenäht war. In der Mitte des Zimmers stand ein finsteres Erinnerungsstück an die Brutalität, die im Lager herrschte: ein hölzerner Peitschblock, wie ihn die Wärter benutzt hatten.
An der linken Wand hingen mehrere Fotoserien. Opfer der Lagerexperimente, ein Viehwaggon, beladen mit Leichen, Reihen abgezehrter Körper, die einst Männer, Frauen und Kinder gewesen waren. Sie lagen in der Sonne. Auf einem Bild sah man eine zierliche junge Frau mit im Tod weit aufgerissenen Augen, die ein kleines Mädchen umklammerte, dessen Beine nur noch streichholzdünn waren. Sie lehnten gegen eine Barackenwand, und ein SS-Offizier grinste auf die Leichen herunter. Er hatte die Hände in die Hüften gestemmt.
Volkmann wußte nicht, warum er hierhergekommen war, aber starrte lange auf die Bilder, bis er den Alptraum aus Brutalität und Folter nicht mehr ertragen konnte.
Hinter sich hörte er ein Geräusch und drehte sich um. Eine Frau stand in der Tür. Sie hatte einen Stapel Papiere in der Hand.
Vermutlich war sie eine Angestellte der Lagerverwaltung, und Volkmanns Anwesenheit schien sie zu erschrecken.
»Gehören Sie zu den Bauarbeitern?«
Volkmann schüttelte den Kopf.
»Das Lager ist für Besucher
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