Meade Glenn
die Autobahn nach Ulm einbog, fing es an zu schneien, und als er fast zwei Stunden später Augsburg erreichte, herrschte dichtes Schneetreiben. Die Felder von Württemberg waren bereits von einer weißen Decke wie von einem Leichentuch überzogen.
Es waren nur wenig Fahrzeuge unterwegs, und in der Höhe von Augsburg überholte er eine Kolonne von zwölf Mannschafts-transportern der Bundeswehr und sechs Nachschubwagen, die offenbar nach München unterwegs waren.
Volkmanns Herz schlug heftig, als er die Militärlastwagen langsam überholte. Er versuchte, die Divisionsabzeichen zu erkennen, aber die Fahrzeuge waren vollkommen mit Schnee und Dreck verschmiert. Eine Viertelstunde später hielt er an der nächsten Tankstelle und führte ein Telefonat. Das Gespräch dauerte weniger als eine Minute.
Als Volkmann wieder in den Wagen stieg, sah er kurz auf seine Uhr, dann ließ er den Motor an und fuhr weiter. Es war nun viertel nach zehn.
53. KAPITEL
Berlin.
20.15 Uhr.
Kerim Ozalid verließ die überfüllte S-Bahn an der Haltestelle Wannsee.
Er hatte die Aktentasche in der Hand und trug einen Mantel, einen wollenen Schal und Handschuhe. Nachdem er die Straße überquert hatte, trat er in den Schatten zwischen zwei Straßenlaternen. Von dort aus konnte er die dunklen Landestege und die Touristenboote sehen, die in ihrem Winterquartier angetäut waren. Der eiskalte Wind, der über das Wasser fegte, kräuselte die Wellen, aber Kerim Ozalid war gegen die beißende Kälte immun. Das heiße Blut in seinen Adern heizte ihn auf.
Am Ausgang des S-Bahnhof war er stehengeblieben und hatte sich nach einem etwaigen Verfolger umgesehen. Nun hielt er wieder inne und zündete sich eine Zigarette an. So konnte er sichergehen, daß ihm niemand folgte. Sein Atem schlug Wolken in der kalten Luft, während er das dunkle Wasser des Sees betrachtete und sich wieder umsah.
Aber nur Arbeiter und Weihnachtseinkäufer strömten aus dem Ausgang der S-Bahn. Niemand schien sich auch nur im geringsten für ihn zu interessieren. Ozalid wartete noch einen Augenblick und ging dann zu der schmalen Straße, die ans Seeufer führte. Er brauchte zehn Minuten bis zum Haus.
Im Erdgeschoß brannte Licht, und in einem der Fenster stand ein beleuchteter Weihnachtsbaum. Als er weiterging, bemerkte er, daß wie vereinbart das Licht unter dem Vordach ausgeschaltet war. Er ging über den schmalen Fußweg, der hinter dem Haus entlangführte, zu dem Törchen, das er schon vorher gesehen hatte. Lautlos schob er den hölzernen Riegel zurück und ging hinein. Dabei blickte er sich wachsam um. Die Nachbarhäuser waren von hohen Nadelgewächsen umgeben, und der Wunsch der Anwohner nach Privatsphäre sorgte gleichzeitig dafür, daß ihn niemand sehen konnte.
Der rückwärtige Teil des Hauses war nicht beleuchtet, aber Kerim konnte trotzdem das offene Kellerfenster erkennen. Er eilte rasch über den Rasen und kniete sich vor das Fenster. Es war groß genug, daß er sich hindurchzwängen konnte. Und kurz darauf stand er in einem Kellerraum.
Er schloß das Fenster und schob sorgfältig den Riegel vor, nahm erst danach die dünne Lampe aus der Tasche und orientierte sich.
Die Wände waren limonengrün gestrichen. An der dem Fenster gegenüberliegenden Wand standen fünf Holzkisten aufgestapelt. Rechts daneben stand eine alte, verschlissene Ottomane, die mit abgeschabtem rotem Samt bezogen war.
Schlichte Holzstufen führten nach oben. Ozalid stellte die Aktentasche auf den Boden und stieg langsam die Treppe hinauf. Dabei achtete er darauf, sich möglichst am Rand der Stufen zu halten, damit sie nicht knarrten.
Als er oben angekommen war, probierte er vorsichtig die Klinke. Die Tür öffnete sich lautlos einen Spalt, und er hörte leise Musik, die irgendwo im Haus spielte. Angenehme Wärme schlug ihm ins Gesicht, und er sah die Treppe, die nach oben ins Schlafzimmer führte. Von der Frau war nichts zu hören, aber er wußte, daß sie irgendwo im Haus sein mußte. Ein schwacher Duft ihres Parfums hing noch in der Luft.
Er schloß die Tür wieder, ging in den Keller zurück und trat vor die Ottomane. Er hob den Deckel und leuchtete mit der Lampe hinein. Ein unordentlicher Haufen Frauenkleider lag in dem Fach: alte Pullover, eine bunte Skihose und zerknitterte Seidenunterwäsche. Kerim schloß den Deckel wieder und setzte sich auf die Ottomane, bevor er seine Aktentasche heranzog und sie öffnete. Er nahm die Beretta, den Schalldämpfer und die beiden Reservemagazine
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