Meade Glenn
diesen Wahnsinn unterstützen würde.«
Grinzinger verzog das Gesicht. »Um diejenigen, die sich weigern, wird man sich kümmern. Bei einigen ist das schon geschehen. Sie haben den Schwur ihrer Väter in den Schmutz gezogen, weil sie uns nicht helfen wollten. Aber diejenigen, die hinter uns stehen, werden die Zukunft schmieden, werden ein neues, noch größeres Deutschland schaffen. Ich rede von einer überwältigenden Streitmacht, Molke, nicht von einer halbgaren Truppe aus Feierabendanarchisten. Kannst du mir folgen?«
Molke verschlug es für einige Augenblicke die Sprache.
Grinzingers Gesicht hatte einen fast wahnsinnigen Ausdruck angenommen. »Ich glaube, dir wird gefallen, was ich dir zu sagen habe, weil es das Ende unseres Gesprächs bestimmen wird.«
»Inwiefern?«
Als Iwan Molke sprach, klang seine Stimme ruhig und beinahe emotionslos. »1935 war mein Vater noch jung, zwanzig Jahre alt, hatte eine junge Frau und ein neugeborenes Kind. Er war Sozialist und lebte in Berlin. Nachdem die Nazis an die Macht gekommen waren, begannen sie, Sozialisten und Kommunisten zu jagen, aber das weißt du ja sicher …«
»Unser Gespräch ermüdet mich allmählich, Molke. Komm lieber schnell zum Ende.«
»Noch etwas Geduld. Weil ich dich danach nämlich um einen Rat fragen möchte.« Molke hielt eine Sekunde inne, und Grinzinger starrte ihn fragend an. »Mein Vater wurde eines Nachts von der Gestapo abgeholt. Sie haben ihn nach Spandau verschleppt und ihn dort fast totgeprügelt. Warum? Weil er Sozialist war. Weil er es gewagt hatte, sich einer anderen Partei anzuschließen als den Nazis. Weil er, mit den Worten der Nazipropagandisten, ein ›asoziales Element‹ war. Für dieses Privileg verbrachte er zwölf Jahre in Konzentrationslagern. In Flossenbürg arbeitete er in einem Steinbruch und wurde dort schlimmer behandelt als ein Maultier. Er wurde geschlagen und gedemütigt, und man ließ ihn hungern. Er wurde ausgepeitscht, bis er nicht mehr laufen konnte, und zwar, weil er einen Knopf von seiner Häftlingskleidung verloren hatte. All diese Dinge, diese Prügelstrafen, die Demütigungen, die langsame Zerstörung seiner Menschenwürde haben ihn tief beeinflußt. Er mußte mit ansehen, wie Leute aus einer Laune eines Wachpostens heraus umgebracht wurden. Männer wurden nur deshalb getötet, weil ein sadistischer Lagerkommandant Gefallen daran fand. Er hat mit angesehen, wie vierzehnjährige Jungen gehenkt worden sind, weil die SS-Wachen ein bißchen Spaß am Nachmittag haben wollten. Sie haben Wetten abgeschlossen, wer am längsten gezappelt hat.«
»Du strapazierst meine Geduld, Molke …«
»Ich bin fast fertig. Mein Vater hat die Lager überlebt. Aber er war nicht mehr mein Vater. Er war innerlich tot.« Molke hob einen Finger und legte ihn gegen seinen Kopf. »Hier oben. Er war ein wandelnder Geist. Ein Vater, dem wir uns niemals nähern konnten, weil sein Schmerz ihn wie eine Mauer umgab.«
Er sah den Politiker eindringlich an. »In Deutschland gibt es nur noch so wenig Juden, daß ihre Zahl nicht mehr der Rede wert ist, Grinzinger. Nicht mehr. Aber es gibt Türken, Serben, Polen und andere Volksstämme, die zweifellos von Deinen Neonazispießgesellen als minderwertige Rassen eingestuft werden. Sündenböcke, denen man die Schuld in die Schuhe schieben kann. Die Schuld an allem und jedem. Unreine, die man ausmerzen muß. Werden das die neuen Juden? Gehen sie auch ins Gas?«
Molke hatte Tränen in den Augen und beugte sich ganz langsam zu Grinzinger vor. Er sah, wie der Politiker zurückwich und die Pistole hob.
»Also hab’ ich jetzt eine Frage an dich, Grinzinger. Was würdest du in meiner Lage tun? Wenn dein Vater in Flossenbürg eingesessen hätte, würdest du dann den Mund halten und jemandem wie dir glauben? Oder selbst diesem Schmeltz? Der Mann, der angeblich Hitlers Sohn ist? Würdest du das tun, Grinzinger? Oder würdest du einfach dein Glück versuchen?«
Grinzinger lächelte kurz, und ein fragender Blick streifte Molke, doch dann öffnete er erschrocken den Mund, als er Molkes letzte Worte begriff.
Molke hatte die Hand blitzschnell in die Hosentasche geschoben und warf sich nach links, als Grinzinger feuerte.
Die erste Kugel aus der Walther zerschmetterte Molkes rechtes Schulterblatt, und die Gewalt des Neun-Milimeter-Projektils schleuderte seinen Oberkörper zurück. Die zweite Kugel durchtrennte Molkes Aorta über dem Herzen.
Die dritte Kugel kam aus Molkes Browning, die er in der rechten
Weitere Kostenlose Bücher