Meade Glenn
hinzu. »Irgendwie hat Rudi von einem Treffen dieser Leute erfahren. Also hat er versucht, das Gespräch aufzunehmen, um mehr zu erfahren, vielleicht sogar einen Beweis in die Finger zu bekommen. Nur ist sein Plan schiefgegangen, und das junge Mädchen und er wurden umgebracht.« Sanchez zuckte die Schultern, eine vertraute Geste. »Vielleicht war sie einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Oder sie hat Rudi irgendwie geholfen und dafür mit ihrem Leben bezahlt.«
Volkmann überlegte. »Auf welche Entfernung funktionierte die elektronische Ausrüstung, die Rudi sich geliehen hatte?«
»Nicht weit«, erwiderte Sanchez. »Allerhöchstens einen Kilometer.«
»Hernandez könnte in der Nacht, in der er getötet wurde, überall gewesen sein.«
»Da gebe ich Ihnen recht. Der einzige Hinweis, wo er an dem Morgen seines Todes war, ist die Aussage des Nachtwächters.
Er arbeitet am Bahnhof und behauptet, Rudi gesehen zu haben.«
Wieder das Schulterzucken. »Wer weiß schon, was Rudi da getan hat, falls er überhaupt dort war. Vielleicht hat er die Wanze dort eingesetzt, aber das können wir nicht wissen.
Außerdem glaube ich es nicht. Der Nachtwächter hat gesagt, daß der Mann, den er als Rudi identifiziert hat, nichts bei sich hatte.
Und daß er nicht viel länger als fünf Minuten im Bahnhof gewesen ist. Aber um Torres’ Ausrüstung zu tragen, braucht man wenigstens eine kleine Tasche. Oder einen Beutel.«
Volkmann sah den fetten Kriminalbeamten an. »Gehen wir einmal davon aus, daß Hernandez am Bahnhof gewesen ist.
Warum geht ein Mann so früh am Morgen auf einen Bahnhof?
Und warum betritt er ihn durch den Hintereingang?« Er hatte laut gedacht, und er sah, daß Sanchez bei dieser Frage die Stirn runzelte.
»Vielleicht war es der schnellste Weg?« spekulierte Sanchez.
»Rudi wollte sich ein Ticket für einen Zug irgendwohin kaufen, wollte Asunción verlassen. Aber der Fahrkartenschalter war um diese Zeit noch geschlossen.«
»Hätte er das nicht wissen müssen?«
Sanchez nickte. »Verstehe. Das heißt, wir stehen vor einer Frage. Falls Rudi tatsächlich auf den Bahnhof gegangen ist und nur kurz dort blieb, dann liegt nahe, daß er einen Grund dafür hatte. Aber welchen? Darauf weiß ich keine Antwort. Warum gehen Leute mitten in der Nacht zum Bahnhof? Um einen Zug zu nehmen oder jemanden abzuholen, falls ein Zug angekommen ist. Aber hier fallen diese beiden Möglichkeiten weg.«
Sanchez sah die junge Frau an. Sie schaute auf und begegnete seinem Blick, bevor sie die Augen abwandte. Sie hörte dem Gespräch zwar zu, schien aber mit ihren Gedanken woanders zu sein. Unaufhörlich spielte sie mit den Fingern und hatte die Stirn nachdenklich gerunzelt. Sanchez glaubte, daß sie noch trauerte.
Er sah Volkmann an. Der Gringo dachte ebenfalls nach, wog die Informationen ab und ging noch einmal durch, was sie gesagt hatten.
»Was ist mit den anderen Hotels auf der Liste?« fragte Volkmann schließlich.
»Meine Männer haben noch nicht angerufen. Ich werde sie von der Funkzentrale verständigen lassen.«
Sanchez stand auf und schob die Papiere auf seinem Schreibtisch zusammen, bevor er die Akte zuklappte. Er drehte sich zum Aktenschrank um, nahm ein großes Schlüsselbund aus der Tasche, schloß auf, zog eine Schublade heraus, legte die Akte hinein, und schloß den Metallschrank sorgfältig wieder ab.
Als er sich umdrehte, bemerkte er, daß die junge Frau ihn seltsam ansah. Sie hatte die Lippen gespitzt, und auf ihrer Stirn bildete sich vor Konzentration eine scharfe Falte. Zum ersten Mal sah Sanchez direkt auf ihre Hände, nicht auf ihre wunderschönen Beine.
Mit der rechten Hand befingerte sie ein Schlüsselbund. Es waren die Schlüssel für Rudis Wagen und Wohnung. Er erinnerte sich daran, daß die junge Frau damit gespielt hatte, während er mit Volkmann geredet hatte. Sanchez sah ihr ins Gesicht. Sie blickte starr in ihre Hand, in der sie die Schlüssel hielt. Auch Sanchez betrachtete die Schlüssel, dann glitt sein Blick wieder zum Gesicht der Frau zurück.
Jetzt sprach sie leise auf spanisch. »Sie haben gefragt, was Rudi auf dem Bahnhof gemacht haben könnte. Auf einem Bahnhof … da gibt es doch sicher Gepäckschließfächer … wo die Leute ihre Sachen lassen können …«
Sanchez hob die Augenbrauen. Erneut sah er das Schlüsselbund an. Sie hielt einen Schlüssel zwischen Daumen und Zeigefinger. Ebenfalls auf spanisch antwortete der Kriminalpolizist: »Ich glaube, schon.«
Die junge Frau
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