Meade Glenn
Studenten schlief, würde sie das, was sie wissen mußte, durch Osmose absorbieren. Vielleicht stimmte das auch, aber auf jeden Fall bekam sie rasch einen Ruf als männer-mordende Nymphomanin weg. Wie ich Karen kenne, schläft sie immer noch mit Lubsch, obwohl sie jetzt verheiratet ist.«
»Erzählen Sie mir von ihr.«
»Ihr Ehemann und sie führen zusammen ein Geschäft in der Mainzer Innenstadt. Sie heißt auch nicht mehr Hollfeld, sondern Gries.«
»Was für ein Geschäft ist das?«
Erika lächelte. »Lederwaren. Sie beliefern die Sexshop-Szene und die Showleute mit Bühnenkostümen. Einige Sachen sind laut Karen ganz schön gewagt, aber das Geschäft läuft hervorragend.«
»Welches Fach hat sie studiert?«
»Politologie, genau wie Lubsch.«
»Hört sich an, als hätte Ihre Freundin das falsche Fach gewählt.«
Erika lächelte wieder. »Eigentlich nicht. Karen hat sich immer für Politik interessiert. Aber sie hat auch einen, sagen wir, sehr ausgeprägten Sexualtrieb. Viele an der Uni haben ihr liebend gern bei ihren Hausaufgaben geholfen, im Austausch gegen ihre Gunst im Schlafzimmer.«
»Erzählen Sie mir etwas über Ihre Zeit an der Universität. Sie haben gesagt, daß es zu der Zeit, als Rudi Sie besucht hat, Gruppen gab, die Winters Einstellung teilten.«
»Sie meinen seine Bemerkungen über die Einwanderer? Es war keine organisierte Angelegenheit, wenn Sie darauf anspielen sollten. Jedenfalls nicht, daß ich wüßte. Es waren einfach nur rechtsgerichtete Studentengruppen, die in den Kneipen große Reden schwangen.«
»Worüber haben sie geredet?«
Erika zuckte mit den Schultern. »Meistens über die Lage der Nation. Sie dachten wohl, daß die Deutschen wegen der fünf Millionen Immigranten eine Rasse von Mischlingen würden.
Und wenn sie zuviel getrunken hatten, haben sie meistens Bemerkungen über Studenten gemacht, die ihrer Meinung nach von Einwanderern abstammten.«
»Und weiter?«
Das Mädchen sah kurz weg. »Wenn sie betrunken waren, hatten sie auch so eine Art Kampfruf«, sagte sie schließlich.
»›Deutschland den Deutschen‹ Und ein oder zweimal habe ich auch gesehen, wie jemand in einer Kneipe seine Hand zum Hitlergruß gehoben hat. Aber keiner hat das richtig ernst genommen. Die meisten Studenten hielten das wohl für albern, für das, was man von Skinheads erwarten konnte, die die Republikaner wählen.«
»1st das nur in Heidelberg passiert?«
»Nein, ich glaube, auch in anderen Universitätsstädten. Aber der Rechtsradikalismus trat nie in den Vordergrund und stellte eher eine Randerscheinung dar.«
»Was haben die Universitätsverwaltungen dagegen unternommen?«
»Nachdem es einige Beschwerden gegeben hatte, scheinen sie wohl ein ernstes Wort mit den Leuten gesprochen zu haben, denn es hörte auf. Die Neonazis erhielten keine oder nur sehr wenig Unterstützung. Irgendwann schienen sie völlig von der Uni verschwunden zu sein.«
»Und danach?«
»Was meinen Sie?«
»Sind Sie noch einmal jemandem von ihnen begegnet, nachdem sie ihr Examen gemacht hatten? Hatten sie noch dieselben Gefühle?«
Erika schüttelte den Kopf. »Soweit ich weiß, war von meiner Fakultät niemand beteiligt.« Sie lächelte kurz. »Meine Kommilitonen waren mehr an Drogen, Rock und Sex interessiert.
Über die anderen bin ich nicht informiert.« Sie sah kurz auf die Tasse, die sie mit beiden Händen hielt, und richtete dann den Blick wieder auf Volkmann. »Wissen Sie, was merkwürdig ist?«
»Erzählen Sie es mir.«
»Sie bringen mich dazu, das Schweigen zwischen uns zu brechen, indem ich Ihre Fragen beantworte. Und Ihnen zu vertrauen. Dabei bin ich die Journalistin. Eigentlich ist das meine Strategie. Aber bei Ihnen funktioniert das. Außerdem ist es ziemlich absurd.«
»Wie das?«
»Ich verbringe die Nacht in der Wohnung eines Mannes, den ich kaum kenne. Das ist nicht an der Tagesordnung, Joe.«
»Und was passiert normalerweise?«
Sie lächelte. »Nichts Weltbewegendes, glauben Sie mir. Ich habe meine Arbeit, und ich höre meine Musik. Ich gehe mit Freunden aus. Aber hauptsächlich arbeite ich. Ich fürchte, ich bin nicht zur Hausfrau geboren.«
»Haben Sie einen Freund, Erika?«
Sie schüttelte den Kopf. »Im Moment gibt es niemand Besonderen.« Sie musterte ihn. »Bekomme ich auch die Chance, eine persönliche Frage zu stellen?«
Volkmann lächelte. »Was möchten Sie denn gern wissen?«
»Mögen Sie Ihre Arbeit, Joe?«
»Ich bin dazu ausgebildet worden.«
»Das klingt, als würde
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