Meagan McKinney
niemals
verlassen, bis er die Wahrheit über sie wußte. Wenn es ihr nicht gelang, sein
Interesse an die Vergagenheit zu zerschmettern, würde er wie ein Geist an
ihrer Seite sein. Sogar dann präsent, wenn er nicht wirklich anwesend war.
»Könnten Sie
bitte mit ins Gefängnis kommen, Ma'am? Da ist etwas, was ich Ihnen zeigen
möchte.«
Ein Plakat
mit dem Gesicht von Christabel van Alen. Der Gedanke überrollte sie wie eine
Dampflok in voller Fahrt. Einen Moment lang vergaß sie alles um sich herum und
starrte zu ihm auf, als hätte er einen Sechsschüsser auf sie gerichtet.
»Liebchen,
du siehst nicht gut aus.«
Sie
beruhigte sich und versuchte, vernünftig nach zudenken. Er wollte ihr nicht
das Plakat zeigen. Er wußte überhaupt nichts davon. Wenn es so wäre, hätte er
sie bereits gestern verhaftet. Außerdem hatte er ihr ja längst gesagt, daß er
den Sheriff-Job nur angenommen hatte, um die Wahrheit über sie herauszufinden.
Er wußte nichts – und sie würde dafür sorgen, daß es so blieb.
»Ich kann
jetzt wirklich nicht. Faulty braucht mich, um ...«
»Es ist nur
nebenan.« Er nahm sie beim Ellbogen.
Sie blickte
sich eilig im Laden um, aber es war niemand da, der sich hätte einmischen
wollen. Macaulay war Sheriff. Sie würden tun, was er wollte. Sie war nicht die
einzige in Noble, die etwas zu verbergen hatte.
»Worum geht
es?« fragte sie hölzern, als er sie zur Tür führte.
»Du wirst
schon sehen«, sagte er nur.
Sie gingen
schweigend nach nebenan. Das bitterkalte Wetter trug nicht dazu bei, daß sie
sich besser fühlte. Der Wind peitschte durch die Hauptstraße, jagte über die
gefroreren Schlammrinnen, pfiff durch lockere Fensterläden und rüttelte an den
ungestrichenen falschen Fassaden. Die ganze Straße lag wie ausgestorben da.
Die gefrorere Stille mitten im Ort war fast unheimlich.
»Hier
hinein«, sagte er und bedeutete ihr, durch die Tür zu gehen. Sie betrat das
Gefängnis. Sie kannte es bereits gut. Viele Male hatte Faulty sie hergeschickt,
um Schnaps für den Saloon zu holen. Sie war überrascht, wie wenig geändert
worden war, jetzt, da es als Gefängnis genutzt werden sollte. Nun waren nur
Eisenstangen gezogen worden, wo bisher die Fässer mit dem Alkohol gelagert
worden waren. Sie blickte
nervös in die neu entstandene Zelle. Eine Armeepritsche und ein Strohballen
war alles, was sich darin befand. Angst packte sie erneut. Sie würde niemals
zulassen, daß er oder irgendein anderer sie dort hineinsteckte. Die Zeit in der
Anstalt hatte ihr klargemacht, daß sie sich niemals wieder würde einsperren
lassen.
»Setz
dich.«
Man hatte
aus dem Laden einen Tisch und Stühle herübergebracht. Widerwillig nahm sie den
Stuhl, den er ihr anbot. An der gegenüberliegenden Wand hing ein Kalender, der
ihre Aufmerksamkeit erregte. Das Gemälde einer rosigen Blondine, die in hermelinverbrämten,
blauen Samt gekleidet war, starrte sie von oben an. Das Jahr »1876« war in
goldenen Buchstaben auf den gefiederten Hut des Mädchens gedruckt.
1876. Es war nun vier Jahre her, seit sie
fortgelaufen war. Der Gedanke deprimierte sie. Sie hatte soviel zu tun, und
doch verbrachte sie jeden Tag bloß damit, um ihr Überleben zu kämpfen. Ihr kam
der Gedanke, daB es vielleicht idiotisch gewesen war zu glauben, daß sie sich
jemals an Didier würde rächen können. Ohne Geld war sie machtlos, und sie mußte
ihre Zeit und ihre Kraft darauf verwenden, sich über Wasser zu halten.
Plötzlich war sie so nah daran, aufzugeben, wie sie es noch nie zuvor gewesen
war. Die blaue Wolle im Geschäft lockte sie. Sie war so warm ... so weich ...
Aber dann
traf Macaulays Blick sie, und sie wußte, der Kampf würde weitergehen. Er hatte
bereits eine schlechte Meinung von ihr. Er hielt sie für eine Hure. Nun, sie
würde es ihm nicht beweisen. Sie würde sich nicht selbst beschämen.
Um ihm zu
zeigen, wie wenig ihr das alles ausmachte, lockerte sie ihre Stola und ließ
sie auf ihre Arme fallen. Der Raum war gut geheizt, was eine willkommene
Abwechslung zum zugigen Saloon darstellte. Während des Winters war das
Schnapslager stets der wärmste Ort in der Stadt. Jan ließ den Ofen Tag und
Nacht brennen, um die Whiskyflaschen vor dem Frost zu schützen.
Macaulay
ging zu dem kleinen Tisch hinüber, auf dem Papiere gestapelt waren. Er wühlte
irgend etwas aus einem Stapel heraus. Ohne ein Wort legte er es vor sie hin.
Als wollte er ihre Reaktion testen.
Es war ein
Foto von ihr und ihrer Schwester. Alana war vielleicht
Weitere Kostenlose Bücher