Mecklenburg-Vorpommern. Anleitung für Ausspanner
»Ahornblattes« auf der Berliner Fischerinsel mit
seinen steil aufragenden Zacken verlieh ihm in interessierten Kreisen Kultstatus. Studenten ketteten sich aus Protest vor den anrollenden Baggern an die
ehemalige Großkantine des DDR-Bauministeriums.
Wenn auch die meisten seiner Projekte vergleichsweise große Funktionalbauten waren, so stößt man auf der Suche nach seinem Werk neben dem Warnemünder
Teepott am häufigsten auf das Bild einer kleinen Seenot-Rettungsstation am Strande von Binz. Ein wahrer Klassiker moderner Architektur, der strahlend weiß
aus den Dünen lugt wie ein stieläugiges UFO. 1968 wurde die Rettungsstation errichtet, 2004 von Müther selbst saniert und bis zu seinem Tode 2007 von ihm
als Ausstellungsraum genutzt.
Für außerirdisch haben sowohl die hiesigen Bauern als auch deren Vieh vermutlich die Plattenbauten gehalten, die zu
DDR-Zeiten auch in Mecklenburg-Vorpommern errichtet wurden. Hatte die Christianisierung dem Land noch eine Vielzahl gotischer Kirchen beschert, trugen die
wirtschaftlich schweren Nachkriegsjahre den kostengünstigen Wohnungsbau selbst in die ländliche Idylle. Kaum ein Dorf, das neben Gutshaus und Kirche nicht
noch eine viergeschossige Platte »versteckt« hätte. Die Ansiedlung eher unansehnlicher Nutzbauten, egal ob Schweinestall oder Wohnungsbau, geschah
durchaus bewusst in unmittelbarer Nähe der Gutshäuser. Schließlich demonstrierte die aufstrebende Arbeiter- und Bauernmacht damit ihre Überlegenheit und
ihren Sieg über das »protzige, verwesende Junkertum«. Fürchten Sie aber nicht, dass sie während eines auch hierzulande populären Urlaubs auf dem Bauernhof
im vierten Geschoss übernachten müssen. Zwei Jahrzehnte nach der politischen Wende haben viele Dörfer durch neu entstandene Eigenheime ein Antlitz
erhalten, das wiederum weder Bauer noch Kuh früher je für möglich gehalten hätten.
Wer nach Mecklenburg-Vorpommern kommt, um die romantischen Bootshäuser am Ufer der Binnengewässer oder die kleinen, reetgedeckten
Fischerkaten an der Ostsee zu genießen, sollte sich an einem der schönsten Strände Rügens die wahrhaft monströse Kulisse Proras allenfalls als
architektonisches Kontrastprogramm anschauen. Das »Seebad der Zwanzigtausend« ist eines von ursprünglich fünf in dieser Größe geplanten »Kraft durch
Freude«-Seebädern der Nationalsozialisten. Weitere sollten unter anderem in Kolberg und Cranz, im heutigenPolen, und am Timmendorfer
Strand entstehen. Vorgesehen war, in Prora 20 000 Menschen gleichzeitig einen ideologisch beeinflussten Urlaub zu ermöglichen. Mit Lautsprechern auf den
Zimmern, dafür aber für nur zwei Reichsmark am Tag, sollte sich das »Menschenmaterial« der Nazis kostengünstig erholen können. Körperliche und geistige
Fitness für Produktion, Krieg und Vaterland. Vom Strand aus ist der »Koloss von Prora« kaum zu sehen. Im Süden das schmucke Binz, im Norden der Fährhafen
Mukran. Der mit viereinhalb Kilometern längste Bau der NS-Architektur versteckt sich hinter Kiefern, die auf den Sanddünen gewachsen sind. Bis zu 9 000
Arbeiter waren zeitgleich auf der Riesenbaustelle beschäftigt. Der Kriegsausbruch 1939 verhinderte, dass der zu Stein gewordene Größenwahn der Nazis
fertiggestellt wurde. Ein Modell des Seebades Prora hatte 1937 den Grand Prix bei der Weltausstellung in Paris gewonnen. Die Planungen sahen vor, entlang
der 5 Kilometer langen Küstenlinie acht sechsgeschossige, gleichartige Häuserblocks zu errichten. Jedes der 10 000 Zimmer sollte Meerblick haben.
Bemerkenswert für die Anlage wie auch für die gesamte NS-Architektur ist, dass die Funktionsgebäude der Bettentrakte und Restaurants der den Nazis
eigentlich verhassten Schule des Neuen Bauens (Bauhaus) sehr nahe stehen. Wie so oft in der NS-Ideologie waren Dinge nur so lange verachtenswert, wie sie
dem Regime nicht nutzten.
Nach Krieg und zwischenzeitlicher Verwendung durch die Sowjetarmee wurden die Gebäude für die Zwecke der Nationalen Volksarmee, der NVA, vollendet. In
den vier DDR-Jahrzehnten waren hier zeitgleich bis zu 10 000 Soldaten mit garantiertem Seeblick stationiert.
Im nördlichen Großabschnitt des Geländes wurden zu dieser Zeit afrikanische Soldaten aus politisch befreundeten Entwicklungsländern
ausgebildet. Der südliche Teil der Anlage beherbergte die Angehörigen der NVA im Kinderferienlager beziehungsweise im Erholungsheim. Aus heutiger Sicht
wirkt diese
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