Mecklenburg-Vorpommern. Anleitung für Ausspanner
Zusammenstellung doch sehr bizarr. Sicher würde man im Familienurlaub gern auf die unmittelbare Nachbarschaft mehrerer tausend in- und
ausländischer Soldaten verzichten. In der damaligen Logik war die gemischte Nutzung jedoch durchaus konsequent.
An so historischer Stätte wie Prora werden gern Geschichten erzählt, die teilweise einen zweifelhaften Wahrheitsgehalt besitzen, aber Mythen umso mehr
befeuern. Beispielsweise soll es unter der Kompaniestraße weitläufige Katakomben geben, die heute geflutet und deshalb nicht mehr zugänglich sind. Auch
hält sich trotz des sehr flachen Wassers vor dem Objekt hartnäckig das Gerücht, dass die Nazis dort begonnen hatten, eine U-Boot-Durchfahrt unter Rügen zu
bauen.
Nach der Wiedervereinigung wurde viel über die Nutzung der Anlage gestritten. Zwar errichtete man auf dem Gelände ein Dokumentationszentrum Prora, das
aufgrund von Finanzierungsengpässen regelmäßig vor dem Aus steht, aber die Chance eines angemessenen Umgangs mit einem Teil der deutschen Geschichte,
beispielsweise nach dem Vorbild des Nürnberger Parteitagsgeländes, wurde vertan. Der größte Teil des Monumentalbaus wird wohl auf lange Sicht als
Bettenburg für hunderte Touristen genutzt werden – wenn man kolossale Betonklötzer mag ein idealer Ausgangspunkt, die Architektur des Landes zu
erkunden. Schlösser, Reetdächer und Leuchttürme findet manauf ganz Rügen, das mondäne Binz mit Bäderarchitektur und Müthers
Rettungsstation ist praktisch in Steinwurfnähe, ebenso Putbus. Den backsteinernen Stralsund und Greifswald ist auf der An- bzw. Abreise kaum
auszuweichen. All das auf jeden Fall mit Meerblick. MV tut eben gut!
»Usedomer Eiffelturm«: Der einstmals modernsten Eisenbahnbrücke Europas sprengte
die Wehrmacht 1945 den Schienenstrang weg. Was blieb, ist ein sonderbarer, 35 Meter hoher Stahlkoloss im Wasser des Peenestroms bei Karnin/Usedom.
• Kraftwerk in Peenemünde: Das beeindruckende Museum trägt, dem Anlass gerecht, den schmucklosen Namen »Historisch-Technisches
Informationszentrum Peenemünde«. Auf dem Gelände der ehemaligen Heeresversuchsanstalt, zwischen 1936 und 1945 eines der modernsten Technologiezentren der
Welt, steht das größte technische Denkmal des Landes. Von hier aus wurde die erste Rakete ins All gestartet. Eine Vielzahl von Großexponaten zeugt davon
und begeistert Industrie- und Technologiejünger. Peenemünde gilt als Wiege der modernen Luft- und Raumfahrt. Der geleistete technische Fortschritt wurde
jedoch mit dem Blut zehntausender Zwangsarbeiter und bei Raketenangriffen Umgekommener bezahlt.
• Slawensiedlung Groß Raden: So lebten und bauten die Slawen vor über 1 000 Jahren – seit den 1970er-Jahren wird in Groß
Raden eine Siedlung aufwendig ausgegraben, freigelegt und restauriert – spannend nicht nur für Freunde der Archäologie.
• Ozeaneum in Stralsund: Das Ozeaneum ist außen wie innen ein faszinierendes Museum. Das auf der
traditionellen Hafeninsel errichtete moderne Gebäude wird in eigenen Prospekten zu Recht mit Worten wie »umspielen«, »gebogen«, »bewegen«, »durchströmen«,
»leicht« und »rund« in Verbindung gebracht. Auch die Ausstellung lohnt sich. Wem die Besucherschlange jedoch zu lang ist, für den bietet das nahe
gelegene, alte Meereskundemuseum sicher eine preiswertere, aber nicht weniger interessante Alternative.
• Backstein: Die Internetseite www.eurob.org des Betreibers Europäische Route der Backsteingotik e.V. stellt die Städte der
Backsteinarchitektur im gesamten Ostseeraum anschaulich vor. Wenn Sie vor einem Zeugnis dieser Bauepoche stehen, dann denken Sie mal einen Augenblick
daran, dass jeder einzelne rote Ziegel reine Handarbeit ist.
»DA IS JA MAN GAR NIX ZU ERKENNEN!« –
KUNST UND KÜNSTLER
Die Bewohner Mecklenburg-Vorpommerns haben gewöhnlich ein, vorsichtig ausgedrückt, bodenständiges Verhältnis zur Kunst. Reaktionen auf
Präsentationen moderner Kunstwerke fallen, neudeutsch gesprochen, bestenfalls »schaumgebremst« aus, das Interesse wird zunächst mal auf das Wesentliche
reduziert. Entsprechend die Kommentare: »Damit kann man Geld verdienen?« oder »Da is ja man gar nix zu erkennen!« sind häufige Reaktionen. In kaum einem
Bundesland leben verhältnismäßig so viele Künstlerinnen und Künstler. Und in kaum einem anderen Bundesland werden sie so gering geschätzt. Ein Kunstmarkt,
der sich aus einheimischen Käufern nährt, ist
Weitere Kostenlose Bücher