Mecklenburg-Vorpommern. Anleitung für Ausspanner
eingerichtet. Schließlich brachte Müller-Kaempff auch noch seine Schülerinnen mit, denn der Künstler
unterrichtete Mädchen aus höheren Häusern. 1895 eröffnete er für seine Kurse ein Haus, das nach dem Schutzheiligen der bildenden Künstler, dem Heiligen
Lukas, benannt und noch heute an der Dorfstraße von Ahrenshoop zu finden ist, unweit der »Bunten Stube».
Der gute Ruf des Ortes beschränkte sich bald nicht nur auf die Kreise der Künstler. Irgendwann, erinnerte sich Müller-Kaempff, kam auch ein Herr, der
nicht malend am Strand oder auf der Weide saß. Die Reaktion der Einwohner, gerade erst hatten sie sich an das bunte Künstlervolk gewöhnt, fiel
norddeutsch-misstrauisch aus: »Was will er denn hier, wenn er nicht malt? Das ist ein Spion!« Müller-Kaempff konstatierte nüchtern: Das ist der erste
Ahrenshooper Badegast. Die Freiluftmaler machten Ahrenshoop zu einem Anziehungspunkt für Kunst, Kultur – und den Tourismus. Heute trifft man in dem bis
in die Nachsaison gut besuchten Ort hart arbeitende Künstlerinnen und Künstler – und massenhaft »Spione«. Der Argwohn der Einheimischen dürfte allerdings
weitgehend ausgeräumt sein.
Ahrenshoop ist die mit Abstand bekannteste Künstlerkolonie Mecklenburg-Vorpommerns. Die Ostsee behieltauch nach der Zeit der
Gründerväter ihre Anziehungskraft, und so lesen sich die Ahrenshooper Gästebücher der folgenden Jahrzehnte wie ein »Wer ist wer« der deutschen
Kunstgeschichte. Bildende Künstler, Schriftsteller, Verleger, der ganze Kulturbetrieb traf sich hier und erholte sich von den Metropolen. Dank umtriebiger
Kunstaktivisten ist das bis heute so.
Wer sich in Mecklenburg-Vorpommern auf die Suche nach Kunst begibt, wird überall fündig. Denn so wie sich in jedem Dorf ein Kirchlein findet, so ist in
der Regel auch ein zeitgenössischer Künstler ansässig. Trotzdem gibt es Regionen, in denen Künstlerinnen und Künstler gehäufter auftreten als
anderswo. Man würde übers Ziel hinausschießen, wenn man von Zentren spräche. Aber »Ballungen« trifft es ganz gut. Interessanterweise findet man diese
weniger in den Städten, sondern auf dem Lande. Wo also ballt es sich?
In Plüschow: Ein unscheinbarer Ort bei Grevesmühlen, der seit den späten 80er-Jahren über ein Künstlerhaus
verfügt. Künstlerhaus – das bedeutet: Künstler aus aller Welt bewerben sich um Stipendien und ein Atelier im Schloss, kommen und gehen und hinterlassen
manchmal Spuren ihrer Arbeit. Zum Beispiel ein vergoldetes Plüschow-Schild am stillgelegten Bahnhof. Aber darum geht es nicht. Wichtig ist, dass immer
wieder Stipendiaten in Plüschow zur Ruhe kommen und hinterher überall in der Welt erzählen, wie gut man in Mecklenburg arbeiten kann. Noch wichtiger: Rund
um den Ort haben sich lauter junge Künstler niedergelassen. Ab und zu gibt es Ausstellungen und mehrtägige Kunst-Events und Partys. Mit Strahlkraft bis
nach Schwerin und Rostock.
Auf Usedom: In dem kleinen Ort Ückeritz bildete sich auch so etwas wie eine Künstlerkolonie – wenngleich in
kleinerem Rahmen. Und auch hier gilt ein Kultur-Reisender als Initiator: Otto Niemeyer-Holstein. Anfang der 30er-Jahre schipperte er mit seiner Jolle
»Lütter« übers Achterwasser – und steuerte auf eine Stelle zu, an der Ostsee und Bodden nur einen Steinwurf voneinander entfernt sind. »Lüttenort« nannte
er den Flecken. Niemeyer-Holstein blieb – und wohnte erst einmal in einem ausgedienten Bahnwaggon. Er ließ sich »Käpt’n« nennen, seine Schiffermütze
wurde zum Markenzeichen, und manchmal fuhr er mit seinem Zeesboot sogar Urlauber spazieren. Vor allem aber war Niemeyer-Holstein ein bemerkenswerter
Landschaftsmaler.
Allerdings hatte ihn nicht nur die Suche nach einem urzeitlichen Idyll gen Vorpommern getrieben. Er versteckte seine jüdische Schwiegermutter vor den
Nazis und schuf einen Rückzugsort. Für sich und seine Maler-Kollegen Otto Manigk und Herbert Wegehaupt, die sich in Niemeyer-Holsteins Nähe
niederließen. Den Ort vererbten sie gewissermaßen an die nächste Generation: Die Söhne Oskar Manigk und Matthias Wegehaupt arbeiten bis heute als Maler in
Ückeritz.
In Greifswald: Hier entstehen junge Kunstschaffende. Die Universität Greifswald verfügt mit dem Caspar-David-Friedrich-Institut
über eine bedeutende »Kaderschmiede« für potentielle Künstler des Landes – neben den Foto-Klassen an der Hochschule Wismar oder den Kunst- und
Designschulen
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