Mecklenburg-Vorpommern. Anleitung für Ausspanner
Baukultur ihren Namen gaben:
Backsteingotik. Viele dieser Gotteshäuser sind erhalten – einige aber überdauerten die Zeiten nicht. Die Rostocker Jakobikirche zum Beispiel. Zu Fall
brachten sie allerdings erst mehrere Sprengladungen im Zweiten Weltkrieg und die realsozialistischen Stadtbildner.
Die Hanse bildet unbestritten den historischen Höhepunkt der Region. Entsprechend versucht jeder, der etwas auf sich hält, sein Gewerbe oder seinen
Verein auf diesen Teil der Vergangenheit einzuschwören: sei es das Hanse-Klinikum, der Hanse-Stromanbieter, das Hanse-Fuhrunternehmen, die
Hanse-Essenlieferanten, die Hanse-Straßenbauer, der Hanse-Badausstatter, derHanse-Steuerberater bis hin zur Hanse-Bestattung. Für
Einigkeit scheint das trotzdem nicht zu sorgen. Dafür sprechen Befindlichkeiten, die seit jeher aus den Nutzungsrechten der Bezeichnung »Hanseat« oder
»hanseatisch« erwachsen. Östlich von Lübeck dürfen diese nicht mehr gebraucht werden, und ein Rostocker oder Greifswalder erntet in Hamburg oder Bremen
nichts als Spott, wenn er sich als Hanseat bezeichnet. Im (Nord-)Osten ist man demnach allenfalls »hansisch«. Und vermutlich haben die Spötter sogar
recht. Denn die Mecklenburger und Vorpommern verfügen weder über den »s-pitzen S-tein« der Hamburger noch über diese Melancholie á la Buddenbrooks, die
die Lübecker für sich reklamieren.
Tastsache ist aber auch, dass die Hanse nicht so recht für die Bildung einer mecklenburgischen oder vorpommerschen Identität reicht. Die Zeit liegt
einfach zu weit zurück, um in eine Kontinuität mit uns Heutigen gestellt zu werden. Dabei riss ja der Einfluss insbesondere der großen Städte nicht
einfach ab, nachdem 1669 der letzte Hansetag stattgefunden hatte. Doch eine derartige Geltung erreichte die Region nie wieder, und entsprechend löchrig
ist auch das Wissen über die Historie.
Nicht jede wissenschaftliche Auseinandersetzung wird im Elfenbeinturm ausgetragen. Der dänische Astronom Tycho Brahe musste das
schmerzlich erfahren, als er sich mit einem Kollegen über ein fachliches Problem nicht einigen konnte. Sie zogen die Säbel. Der Streit endete für Brahe
mit einer abgetrennten Nasenspitze, so dass er fortan eine Prothese aus Metall tragen musste.
Schauplatz dieses heftigen Streits war Rostock, Zeitpunkt der Dezember 1566. Brahe, gerade 20 Jahre alterStudent, war zu dieser Zeit
noch nicht der Star-Astronom, der er einmal werden sollte, aber Rostock hatte sich als Zentrum der astronomischen Forschung bereits etabliert. Überhaupt
war die Alma mater Rostochiensis berühmt – immerhin stellte sie die erste Universität Nordeuropas dar, 1419 gegründet, früher als die Unis in Kopenhagen,
Lund, Stockholm und Greifswald. In wirtschaftlich blühenden Zeiten investierte man in die Bildung, und so kamen auch regelmäßig große Geister, berühmte
Gelehrte und talentierte Studenten nach Rostock. Ulrich von Hutten zum Beispiel lehrte in Rostock und Greifswald. Und selbst bis fast in die Gegenwart
wehte ein Hauch des Genialen durch die Region – dank der Universitäten. In Rostock erhielten Albert Einstein und Max Planck die
Ehrendoktorwürde. Greifswald hat unter anderem Selma Lagerlöf („Nils Holgersson»), Martin Andersen Nexö (»Pelle der Eroberer«) und, aus den 90er-Jahren,
Hannelore Kohl auf der Liste.
Auch um Johannes Kepler, Brahes Nachfolger in Prag, hatte man sich an der Uni Rostock bemüht – und eine Professur eingerichtet. Doch
statt des Gelehrten kam die Nachricht von seinem Tod. Der Landesherr, der ihn an die Ostsee holen wollte, war nicht weniger berühmt: Es war Albrecht
Wallenstein, der die mecklenburgischen Herzöge erfolgreich aus dem Land gejagt, sich selber in Güstrow niedergelassen und bei dieser Gelegenheit auch zum
Ko-Patron der Universität Rostock gemacht hatte.
Im Umfeld des Dreißigjährigen Krieges bildete der durchaus streitbare Feldherr Wallenstein zumindest in Sachen der Verwaltung offenbar einen
Lichtblick. Er führte einen geordneten Hof, baute den Staat um und auch das Güstrower Schloss. An den renitenten Stralsundernallerdings
scheiterte er. Es gelang ihm nicht, die Stadt einzunehmen, und nach wenigen Jahren war es wieder vorbei mit dem selbsternannten »General der baltischen
und ozeanischen Meere«. Sein Gastspiel mag beeindruckend gewesen sein, aber ein Gastspiel macht keine Tradition. Und so geht die Zeit des Dreißigjährigen
Krieges eher in die
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