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Meconomy

Titel: Meconomy
Autoren: Markus Albers
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vergeistigten deutschen Kollegen. So gehörte dort das Nachdenken über den Zusammenhang von Geld, Wohlstand und Glück durchaus zum Stammthema seriöser Denker. Schon 1689 stellte John Locke fest: „Die höchste Vollkommenheit einer vernunftbegabten Natur besteht in dem unermüdlichen Streben nach wahrem und dauerndem Glück.“
    Welches Glücksziel aber „wahr“ und „dauernd“ sei, fragt Spiegel -Autor Mathias Schreiber angesichts dieser plausibel klingenden Regel. Er schlägt dazu die Glücksbestimmung des römischen Dichters und Politikers Seneca vor, der von 4 vor bis 65 nach Christus lebte und in seiner Abhandlung „Vom glückseligen Leben“ postulierte: „Glückselig“ sei „ein Leben, welches mit seiner Natur in Einklang steht“. Das könnte auch ein heutiger Zeitgenosse spontan unterschreiben. Mit seiner Natur im Einklang möchte doch eigentlich jeder leben. Aber was genau heißt das eigentlich? Auch Schreiber gibt zu bedenken, dass diese großen Worte „beginnen diffus zu flimmern, sobald die Wegweisung, die sie beanspruchen, der konkreten Lebenssituation bestimmter Individuen zugeordnet wird“.
    „Das wahre Ich gibt es nicht“, sagt die Berliner Sozialphilosophin Rahel Jaeggi. „Die Bedürfnisse des Menschen sind dynamisch und veränderbar.“ Glaubt man der jungen Professorin, kann man heute sogar wieder über den eigentlich altmodischen Begriff der Entfremdung sprechen. Aber bitte schön, ohne dass man „sagen muss, was die Natur des Menschen oder das richtige Leben ist“.  
    Noch konkreter fasst es die moderne Hirnwissenschaft: Die Idee einer angeborenen „Natur“ des Menschen, eines unabänderlichen Persönlichkeitskerns, den man nur entdecken und an dem man dann sein Leben ausrichten müsse, um glücklich zu werden – diese Idee gilt als widerlegt. Es ist wohl vielmehr so, dass wir uns fast unser gesamtes Leben über ständig weiterentwickeln und erheblichen Einfluss darauf haben, welche Art Mensch wir am Ende sind. Wir haben gar keine Wahl – wir sind zur Tätigkeit verdammt. Wir erfinden uns permanent neu. Die Frage ist, ob wir uns dessen bewusst sind. Denn nur dann können wir diesen Prozess steuern und uns nicht nur verändern, sondern auch verbessern und glücklicher werden.  

Woher kommt mein Selbstbild?  
    Neue Studien und Untersuchungen der Neurowissenschaftler widersprechen der Vorstellung, dass der Kern der Persönlichkeit angeboren sei und stabil bleibe. Aktuelle Erkenntnisse legen stattdessen nahe, dass sich die Nervenzellen des Hirns fast ein Leben lang neu organisieren, was auch den Charakter verändert. „Das heißt umgekehrt, dass es relativ sinnlos ist, wenn Menschen ihr vermeintlich angelegtes Selbst finden oder verwirklichen wollen“, schreiben Werner Siefer und Christian Weber in ihrem Buch „Ich – wie wir uns selbst erfinden“. Es gehe nicht um die Suche nach einer Bestimmung, vielmehr müsse der Mensch frei wählen, was aus ihm werden soll: „Die Frage lautet nicht mehr: ‚Wer bin ich?‘, sondern ‚Wer könnte ich werden?‘“
    Das Leben sei eine Baustelle, so fassen die beiden Autoren ihre umfassenden Recherchen bei Hirnforschern, Psychologen, Philosophen und Anthropologen auf der vergeblichen Suche nach dem Kern unserer Persönlichkeit zusammen. Jeder könne selbst bestimmen, ob er an seinem Ich beständig aktiv weiterarbeite, gar einen radikalen Umbau wage oder es mit den Jahren ein bisschen verkommen lasse. Im Sinne unserer These von der Meconomy muss natürlich eindeutig gefordert werden: Bitte weiterbauen! Anders, als alle populärwissenschaftlichen Vorurteile von der genetischen Festlegung der menschlichen Persönlichkeit vermuten lassen und trotz des angeblichen Streits um den Einfluss von „Nature“ und „Nurture“, also Veranlagung und sozialem Umfeld, steht heute ganz klar fest: Erst im Alter von 50 verfestigen sich die Charakterzüge des Menschen allmählich. Bis dahin können und werden wir uns ständig neu erfinden.
    Ein anderer Mensch werde man in der Regel allerdings nicht „durch einen vernünftigen Entschluss und heftiges Wollen“, geben Siefer und Weber zu bedenken. Ähnlich wie beim Streben nach dem Glück die Aktion gefordert ist, verändert sich auch die Persönlichkeit zumeist durch neue Erfahrungen oder einen konkreten Anlass. „Umzüge und Berufswechsel“ zum Beispiel seien – entgegen dem alltagspsychologischen Rat, vor Problemen nicht davonzulaufen – durchaus sehr gute Chancen zur
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