Medaillon des Schicksals (German Edition)
zu widersetzen.
»Wir sind uns versprochen, werden bald heiraten. In vielen Gegenden ist es Brauch, dass die Verlobten miteinander eine Nacht zur Probe verbringen«, erklärte Raffael.
Zwar wurde trotz des Brauches angestrebt, dass die Braut als Jungfer in die Ehe gehen sollte, doch jeder wusste, dass sie meistens den Jungfernkranz zu Unrecht trugen. Außerdem war es sehr schwierig, geradezu unmöglich, nach einer solchen Nacht aus dem Eheversprechen auszusteigen. Warum sollte Rosaria sich widersetzen? Sie hatte nun niemanden mehr auf der Welt, nur noch Raffael. Und sie fühlte sich einsam nach dem Tod Paolas. Eine Einsamkeit, die schlimmer war als alles Alleinsein, das sie bisher gekannt hatte. Verlassenheit war es, die Rosaria fühlte. So schmerzhaft fühlte, dass sie nun froh war, in Raffaels Armen ein wenig Nähe, Wärme und Zärtlichkeit zu finden. Warum sollte sie noch länger warten, warum ihr Bedürfnis nach Nähe im Zaum halten, wenn sie doch nicht lieben durfte?
Ja, im tiefsten Innern war Rosaria froh, dass sie Raffaels Frau werden konnte. Denn so blieb ihr der Tod erspart. Ihr Tod war laut Ambras Orakel eng mit der Liebe verknüpft. Da konnte es doch nur von Vorteil sein, wenn sie Raffael eben nicht liebte! So blieb ihr und auch ihm der Tod erspart.
Eine andere Stimme in ihrem Innern sagte ihr, dass sie sich selbst betrog. Sie war eine leidenschaftliche Frau, und ein Leben ohne Liebe war für sie möglicherweise schlimmer als der Tod.
Doch Rosaria vermied es, sich darüber weitere Gedanken zu machen. Ihrem Schicksal würde sie nicht entgehen. Da war es gleichgültig, ob sie sich in dieser Nacht in Raffaels Armen ein bisschen Wärme holte oder sich noch stärker ihrer schmerzenden Verlassenheit hingäbe. Sie würde in seinen Armen liegen, sich an ihn kuscheln und ihre Trauer für einen Moment vergessen können. Nein, Rosaria hatte nicht vor, die ganze Bandbreite einer solchen Probenacht auszukosten. Zu tief war ihre Trauer, zu tief auch der Respekt vor den Gesetzen der heiligen Mutter Kirche, die sie schon einmal verletzt hatte. Die Worte des Priesters klangen ihr noch immer in den Ohren. Damals, in der Kirche San Gimignanos, hatte sie einen Schwur getan, und diesen Schwur würde sie nicht brechen. Doch er besagte ja nicht, dass sie nicht nebeneinander liegen durften, wenn sie nur keusch blieben.
Als ob Raffael spürte, was sie bedrückte, war er heute von großer Zärtlichkeit. Er legte den Arm um Rosaria, sodass sie ihren Kopf an seiner Schulter bergen konnte. Mit dem anderen Arm umfasste er sie und ließ dann seine Finger langsam und gleichmäßig über sie gleiten. Rosaria seufzte leise und genoss die Liebkosungen. Alle Anspannung in ihrem Körper löste sich allmählich auf, und endlich konnte Rosaria die Tränen wieder fließen lassen, die sich lange in ihr aufgestaut hatten.
Raffael ließ sie weinen und streichelte sie. Seine Hand glitt über ihre Schulter, fuhr den Hals hinauf, strich über die empfindliche Stelle in Rosarias Nacken. Sie spürte, dass seine Liebkosungen drängender wurden. Jetzt schob er ihr Kleid von der Schulter, seine Hand arbeitete sich zu ihrer Brust vor, umfasste sie und rieb an der empfindlichsten Stelle.
Rosaria schrak hoch und schob Raffaels Hand weg. »Lass mich«, sagte sie mit fester Stimme. »Wir sind noch nicht verheiratet, und noch einmal werde ich mich dir vor unserer Hochzeit nicht hingeben.«
Raffael lachte mit heiserer Stimme. »Rosaria, einmal ist keinmal, das weißt du doch.«
Dann nahm er sie fest bei den Schultern, drückte sie ins Heu und presste seinen Mund hart auf ihren. Doch er hatte nicht mit Rosarias Kraft und Geschicklichkeit gerechnet. Wie eine Schlange wand sie sich unter ihm hervor. In ihren Augen blitzte der Zorn.
»Geh, Raffael«, sagte sie gefährlich leise. »Geh, ehe ich die anderen rufe. Du hast meine Trauer nicht geachtet, bist nicht gekommen, um mich zu trösten, sondern um deiner Lust willen. Ich frage dich: Ist dies das Verhalten eines Mannes, der vorgibt, eine Frau zu lieben?«
»Rosaria, ich liebe dich. Das weißt du doch. Hätte ich sonst versprochen, dein Leben mit meinem zu schützen? Was willst du noch? Komm her, sei lieb zu mir. Bald werde ich der Herr im Hause sein, und dann ist es an dir, zu tun, was mir gefällt. Je eher du dich an diesen Gedanken gewöhnst, Rosaria, umso besser für uns.«
Wieder griff er nach ihr, doch auch diesmal war Rosaria schneller. Sie holte aus, und noch ehe sich Raffael versah, verpasste
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