Medaillon des Schicksals (German Edition)
sie ihm eine Ohrfeige, die sich gewaschen hatte.
»Verschwinde von meinem Lager«, sagte sie und betonte dabei jedes einzelne Wort. »Wenn du nicht sofort gehst, dann rufe ich die anderen, verlass dich darauf. Du kennst die Gesetze der Fahrenden. Du hast versprochen, dich den Anordnungen des Ältesten nicht zu widersetzen. Tust du es, kannst du nicht länger bleiben. Also verschwinde von hier, ehe ich nach Ambra rufe.«
Raffael zupfte sich das Heu von den Kleidern und sah Rosaria dabei fest in die Augen. Mit leiser Stimme zischte er: »Heute noch kannst du mich wegschicken wie einen Hund. Aber warte nur, bald wirst du zu mir gekrochen kommen. Als meine Frau werde ich dich Gehorsam lehren, darauf kannst du dich verlassen.«
Dann stand er auf und ging, jedoch nicht, ohne dem Schober einen gehörigen Fußtritt zu versetzen.
Noch lange lag Rosaria in dieser Nacht wach und weinte sich schließlich in den Schlaf. Sie fühlte die Verlassenheit, die sie vor Raffaels Besuch gespürt hatte, nun noch viel stärker als je zuvor.
»Madonna«, betete sie leise. »Warum hast du mir ein solches Schicksal zugedacht? Bitte hüf mir, es mit Würde zu tragen.«
Am nächsten Morgen zog die Kolonne weiter. Raffael tat, als wäre zwischen ihm und Rosaria in der letzten Nacht nicht das Geringste vorgefallen, und scherzte mit ihr wie immer. Auch Rosaria kam mit keinem Wort auf die vergangene Nacht zu sprechen.
Doch tief in ihrer Seele verspürte Rosarias ein ungutes Gefühl, das sich verstärkte, je näher sie der Burg der di Algaris kamen.
Irgendetwas zog sie unweigerlich zu dieser Burg, etwas, das sie nicht erklären und dem sie sich auch nicht widersetzen konnte. Und etwas anderes bereitete ihr Unbehagen. Dieses Unbehagen war so groß, legte sich so schwarz und schwer auf ihre Seele, dass Rosaria lieber wohl die Flucht ergriffen hätte, wäre da nicht diese seltsame Macht gewesen, die sie gerade das Dunkle und Schwere suchen ließ.
Als sie an einem Bachlauf Rast machten, die Pferde tränkten und ihren Proviant verzehrten, kam Ambra zu Rosaria.
»Ich habe geträumt von dir in der letzten Nacht«, verriet sie.
»Was hast du geträumt, Ambra?«
»Von der Burg der di Algaris und von dir, mein Kind. Ich sah nur dein Gesicht, in dem sich Angst und Verzweiflung mischten. Auf der Burg wird sich dein Schicksal erfüllen, hat der Traum mir gesagt, als ich ihn heute Morgen deutete.«
Rosaria nickte. »Du wirst Recht haben, Ambra, denn auch ich spüre eine Macht, die mich zu dieser Burg zieht, spüre auch die Dunkelheit, die sich mir nähert.«
Ambra nahm Rosarias Hand und schaute ihr tief in die Augen.
»Noch ist es Zeit zur Umkehr, Rosaria. Noch kannst du deinem Schicksal entrinnen.«
Rosaria erwiderte fest den Blick der alten Wahrsagerin. Ohne es zu merken, griff sie dabei nach dem Medaillon an ihrem Hals und umschloss es fest mit beiden Händen, als erhoffte sie sich Schutz davon. Dann schüttelte sie fest entschlossen den Kopf.
»Seinem Schicksal kann man nicht entrinnen, Ambra. Du weißt es genauso gut wie ich.«
Noch während sie diese Sätze aussprach, fühlte Rosaria das Medaillon so heiß in ihrer Hand, dass es sie beinahe verbrannte.
Als der Abend sein graues Tuch über die Toskana deckte, sahen die Fahrenden in der Ferne die Burg der di Algaris auf einem Hügel stehen. Stolz und mächtig wirkte sie, und die Abendschatten verstärkten das Bedrohliche, das von ihr ausging, je näher die kleine Kolonne dem Herrensitz kam.
Schließlich gelangten sie an eine Abzweigung. Von der Handelsstraße mit den ausgefahrenen Wagenspuren führte ein schmaler Weg, der mit großen und kleinen Steinen übersät war, zwischen Weinbergen hin durch zur Burg hinauf. Stille herrschte über dem Land, eine für die hochsommerliche Toskana unübliche Stille, die nur von den Geräuschen des Windes in den Eschen, die den Weg links und rechts säumten, durchbrochen wurde.
Das Rascheln der vielen schmalen Blätter, die sich im Luftzug hin und her bewegten, erinnerte Rosaria an das Geräusch des Regens, der ununterbrochen auf eine Wagenplane trommelt. Doch während der Regen immer eine beruhigende Wirkung auf die junge Olivenhändlerin hatte, brachte das Blätterrascheln Beklemmung mit sich.
Auch Ambra, die neben ihr war, sah mit prüfendem Blick in die Baumkronen.
»Es ist nicht gut, an einem hellen Sommerabend Regen zu hören, der nicht fällt. Eschen sind heilige Bäume, und die Orte, an denen sie wachsen, sind magische Orte. Ein jeder
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