Medaillon des Schicksals (German Edition)
ließ mich rufen und sagte, ich solle Euch holen. Traurig klang ihre Stimme dabei, doch das tut sie fast immer. Beeilt Euch, die Contessa wartet nicht gern.«
Rosaria nickte und beendete rasch ihre Morgentoilette. Dann folgte sie der Magd durch die Halle der Burg; Rosaria fröstelte erneut, als sie die Kargheit und Lieblosigkeit der Einrichtung sah, die verschlissenen Teppiche, die zerbrochenen Truhen und die verdreckten Binsen, mit denen der Boden bedeckt war. Doch irgendetwas bewirkte, dass sich Rosaria in dieser Halle fühlte, als wäre sie schon einmal hier gewesen. Wie konnte das sein? Rosaria wusste genau, dass dem nicht so war. Und doch kam es ihr so vor, als kenne sie die Teppiche, die Truhen, den riesigen hölzernen Tisch, der mit einem fleckigen Samttuch bedeckt war. Ja, Rosaria glaubte sogar sagen zu können, was sich in den Truhen befand. Hier, in dieser da aus dunklem Holz, wurden die Tischtücher aufbewahrt. Dort drüben mussten die Kerzen sein.
Sie blieb stehen und sog vorsichtig den Geruch des Raumes in ihre Nase. Ein Duftgemisch aus kaltem Kaminrauch, vergossenem Wein und Talglichtern, dazwischen Männerschweiß und ein zarter Hauch nach Lavendelwasser. Auch der Geruch ist mir vertraut, dachte sie, so vertraut wie der Geruch des Wagens und der Oliven. Gern wäre Rosaria noch ein Weilchen hier stehen geblieben, um herauszufinden, woher die Vertrautheit kam.
Doch schon war die Magd zu einer Seitentreppe geeilt, und Rosaria hastete hinter ihr her. An den Wänden des Treppenaufgangs waren Fackeln angebracht, doch die Wand dahinter war geschwärzt und ließ auch hier alle Zeichen der Vernachlässigung sichtbar werden.
Endlich waren sie vor den Gemächern der Contessa Donatella di Algari angelangt, und Rosaria klopfte schüchtern an.
Die Contessa stand am Fenster und drehte Rosaria den Rücken zu, sodass die Olivenhändlerin in Ruhe den Raum mustern konnte. Sie betrachtete das Bett, das von schweren, dunkelgrünen Vorhängen nur notdürftig verborgen wurde, betrachtete auch den leeren Vogelkäfig mit dem offenen Türchen, der vor der Contessa auf dem Fensterbrett stand. Nein, hier kommt mir nichts bekannt vor, hier ist mir nichts vertraut, dachte Rosaria und wusste nicht, ob sie froh oder traurig darüber sein sollte.
Die Contessa stand noch immer mit dem Gesicht zum Fenster und sagte, ohne einen Blick auf Rosaria zu werfen: »Ich habe viel von deinen heilenden Kräften gehört, Olivenhändlerin. Man sagt auch, dass du eine Zauberin bist, die sich auf Liebestränke versteht.«
Rosaria erwiderte: »Ja, die Leute reden wohl so, doch ich bin keine Zauberin, kann nicht Liebe erzeugen, wo keine ist, kann auch nicht von außen heilen, was im Inneren fault. Meine Mittel sind begrenzt und erschöpfen sich in den Geheimnissen der Natur.«
Sie sah auf die Contessa und wartete darauf, dass diese sich umdrehte, doch die Frau blieb unbeweglich stehen und starrte aus dem Fenster, als gäbe es dort draußen etwas zu entdecken.
Rosaria betrachtete das Zimmer und fühlte wieder, wie die Kälte an ihr hoch kroch und sich in ihren Gliedern breit machte. Auch die Contessa schien zu frieren, denn sie hatte sich einen Umhang aus Pelz um die Schultern gelegt.
Merkwürdig, dachte Rosaria, dass wir hier frieren, obwohl draußen die Sonne scheint und die Luft vor Hitze flimmert. Sind es die Mauern, die die Wärme fern halten?
Die Contessa räusperte sich und sagte: »Nun, wenn du nicht zaubern kannst, so bitte ich dich doch, dein Bestes zu geben. Meine Tochter Daria ist von einem Ausschlag entstellt. Heile sie, dann werde ich dich reichlich belohnen.«
»Ich werde tun, was in meinen Kräften steht«, erwiderte Rosaria. »Doch ich würde Eure Tochter vorher gern sehen, damit ich vielleicht die Ursache der Krankheit erkenne. Nur derjenige, der den Grund einer Krankheit findet, kann sie heilen.«
»Ich weiß, ich weiß«, unterbrach sie die Contessa ungeduldig. »Du sollst sie sehen. Gleich nach unserem Gespräch werde ich dich zu ihr bringen lassen. Doch vorher noch ein Wort.« Die Contessa hörte auf zu sprechen. Noch immer stand sie mit dem Gesicht zum Fenster, und Rosaria sah, wie ihre schmalen Schultern bebten.
Rosaria starrte auf den Rücken der fremden Frau, von der sie durch Alter und Stand unendlich weit entfernt war, und fühlte plötzlich eine Welle der Zunei gung in sich aufsteigen, die sie sich nicht erklären konnte. Am liebsten wäre sie zu Contessa Donatella gelaufen und hätte sie in den Arm genommen
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