Medaillon des Schicksals (German Edition)
obwohl ich dich noch nie gesehen habe. Es scheint mir gar, als wären wir so vertraut wie Freundinnen.«
Rosaria nickte, aber auch sie hatte keine Erklärung. Auf der Burg der di Algaris, die sie erst seit Stunden kannte, waren ihr schon mehr Merkwürdigkeiten begegnet als je zuvor in ihrem Leben. Sie hatte aufgehört, Antworten dafür finden zu wollen, doch der Spruch Ambras ging ihr nicht aus dem Kopf, der Orakelspruch, der besagte, dass sich hier ihr Schicksal erfüllen werde.
Langsam ging Rosaria auf Daria zu und zog sie ans Fenster, um den furchtbaren Ausschlag zu betrachten.
»Eure Mutter bat mich, eine Salbe herzustellen, die Eure Beschwerden lindert«, erklärte sie dabei.
Daria nickte.
Mit dem Finger berührte Rosaria das entstellte Gesicht und fuhr behutsam über die Narben.
»Seit wann leidet Ihr an diesem Ausschlag?«, fragte sie und bemerkte dabei nicht, dass Darias Blick wie gebannt an dem Medaillon hing, das Paola ihr auf dem Sterbebett gegeben hatte.
»Woher hast du diese Kette?«, fragte Daria, als hätte sie Rosarias Frage gar nicht gehört.
Rosaria griff nach dem Medaillon und umschloss es mit ihrer Hand, als wollte sie es schützen.
»Meine Mutter gab es mir auf dem Sterbebett.«
»Wer war deine Mutter, und woher hatte sie diesen Schmuck?«
»Ich weiß es nicht, sie starb, ohne es mir sagen zu können. Wisst Ihr etwas darüber?«
Für einen Moment schwieg die Comtess di Algari. Dann schüttelte sie energisch den Kopf.
»Nein, ich weiß nichts. Gar nichts weiß ich. Eine Täuschung war es, die mich wohl für einen Moment glauben ließ, ich hätte diese Kette schon anderswo gesehen.«
Rosaria sah der jungen Frau in die Augen und erkannte, dass sie log. Doch sie drang nicht weiter in sie ein, denn sie wusste, dass sich eines Tages alle Rätsel der Burg offenbaren würden. Woher dieses Wissen kam, vermochte sie nicht zu sagen. Aber eines stand fest: Ambras Orakel schien sich zu erfüllen, und Rosaria war für einen Augenblick lang sehr froh, dass Paola bereits tot war. Sie also brauchte nicht mehr ihr eigenes Leben für Rosarias Liebe zu geben. Dann konzentrierte sie sich wieder auf das Gesicht der Comtess und wiederholte ihre Frage: »Wann trat der Ausschlag zum ersten Mal auf?«
Daria schüttelte den Kopf, hob hilflos die Schultern.
»Ich habe ihn, seit ich denken kann. Meine alte Amme Rosalba aber erzählte, er sei in der Nacht, in der mein Bruder geboren wurde, zum ersten Mal aufgetreten. Achtzehn Jahre ist das nun her, und ich war damals erst ein vierjähriges Kind.«
»Was war so besonders an der Nacht, in der Euer Bruder zur Welt kam?«, fragte Rosaria weiter.
»Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht.«
Alle Fröhlichkeit war aus Darias Gesicht gewichen. Die Augen hatten ihren Glanz verloren und sich hinter einem Schleier versteckt. Leid stand darin geschrieben, Leid und Verzweiflung.
Rosaria strich der jungen Frau tröstend über die Schulter.
»Ich werde all mein Wissen und all meine Kunst einsetzen, um Euch zu helfen«, versprach sie. »Ihr könnt das Eure dazu tun, in dem Ihr herauszufinden versucht, was in jener Nacht geschah. Mir ist, als läge das Geheimnis Eurer Genesung im Geheimnis dieser Nacht.«
»Was redet Ihr da?«, erklang plötzlich eine barsche, energische Stimme.
Rosaria fuhr herum und stand vor einer alten Frau mit gebücktem Rücken. Sie hatte nicht bemerkt, wie die Frau zur Tür hereingekommen war.
»Nichts ist geschehen in dieser Nacht. Rein gar nichts, was ungewöhnlich wäre.«
»Woher wisst Ihr das?«, fragte Rosaria tapfer, obwohl die alte Frau sie misstrauisch beäugte.
»Ich war dabei, bin die Amme hier im Haus. Eine schwere Geburt hatte die Contessa, das schon. Doch welche Geburt ist schon leicht? Wir wollen der Madonna dankbar sein, dass Mutter und Kind gesund waren und es noch sind. Daria hat nichts damit zu tun. Und Ihr, Olivenhändlerin, auch nicht. Kümmert Euch um Eure Angelegenheiten und tut, was Euch aufgetragen wurde.«
Rosaria begriff in diesem Moment, dass ihre Ahnung richtig war, dass in der Nacht von Giacomos Geburt etwas vorgefallen sein musste, das das Leben auf der Burg in seinen Grundfesten erschüttert hatte, und dass seitdem nichts mehr so war wie zuvor. Ein dunkles, düsteres Geheimnis mit einer unheimlichen Macht musste es sein, ein Geheimnis auch, das seinen Ursprung im Wesen des Conte hatte.
Doch Rosaria war klug genug, nicht weiter zu fragen. Die Amme hatte Recht. Was immer hier geschehen sein mochte, es
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