Medaillon des Schicksals (German Edition)
seufzte Rosaria tief auf, dann verkorkte sie die Flasche. Sie nahm all ihre Kraft und all ihren Willen zusammen, wusch sich die Spuren der Tränen vom Gesicht und schlüpfte wieder in die Rolle, die ihr für diesen Tag zugedacht war.
Sie ordnete ihr Haar, strich noch ein letztes Mal über die Stelle, an der Giacomos Atem sie gestreift hatte, und begab sich mühevoll beherrscht, zurück zum Festplatz.
Die Musiker verfolgten mit ihren Blicken Rosarias Weg zum Baldachin. Als sie angekommen war, erhoben sie die Instrumente und schmetterten einen Tusch, der den Gästen einen weiteren Höhepunkt des Festes ankündigte.
Rosaria knickste ehrfürchtig vor der Braut und zeigte ihr die Flasche.
»Mit diesem Trank für Euch und Euren Bräutigam wollen wir, die Kolonne aus Lucca, Euch unsere Glückwünsche überbringen. Der Trank soll eine Liebe in Eurer beider Herzen entfachen, die von Menschen nicht zu löschen ist und bis an das Ende aller Tage hinaus anhält.«
Mit diesen Worten entkorkte Rosaria die Flasche, nahm eines der wertvollen Gläser aus blauem Kristall von einem Silbertablett, goss den Trank hinein und reichte das Glas Giacomo.
»Doch bevor Ihr trinkt, Ihr Liebenden, so höret, was noch zu sagen ist: Die Liebe ist eine gewaltige Kraft, die stärker ist als der kleinmütige Mensch. Dieser Trank ist kein Zauber. Er verstärkt die Liebe dort, wo sie vorhanden ist, und richtet nichts aus, wo sie fehlt.«
Noch einmal verbeugte sich Rosaria und rief dann mit lauter Stimme, sodass jeder der Feiernden sie gut hören konnte: »Und nun, Conte Giacomo di Algari, trinkt aus diesem Glas und reicht es dann der, von der Ihr geliebt zu werden begehrt.«
Giacomo nahm das Glas aus Rosarias Hand und führte es langsam an seine Lippen, doch seine Augen sahen nicht auf die Braut, sahen nicht Isabella Panzacchi aus Florenz. Nein, seine Blicke hatten sich in Rosarias Augen verfangen, hielten sie fest, ganz fest. Und langsam trank er Schluck für Schluck. Ebenso langsam ließ er das Glas von seinen Lippen gleiten und wandte sich nun endlich seiner Braut zu. Doch was er ihr sagte, war kein Liebesschwur, nein. Die Menge erstarrte und wurde totenstill, als sie die Worte vernahm, die der junge Conte Giovanni zu Isabella Panzacchi sprach: »Verzeiht, schöne Florentinerin, aber die Liebe ist stärker als mein Willen und als mein Verstand.«
Und dann reichte er das Glas Rosaria, nein, er reichte es ihr nicht, er führte es an ihre Lippen – an Lippen, die sich wie von selbst öffneten. Unter den Augen von über einhundert Gästen geschah das Ungeheuerliche: Rosaria trank von dem Liebeszauber, spürte ihn köstlich und unsagbar süß auf ihren Lippen, dann am Gaumen und heiß und lodernd ihre Kehle hinunterrinnen.
Und Isabella, die schöne Florentinerin, der noch niemals jemand einen Wunsch abgeschlagen oder gar einen Befehl verweigert hatte, stand dabei und war vor Wut und Enttäuschung wie gelähmt. Doch schon fing sie sich, ihr Gesicht wurde rot, und eine blaue Ader schwoll auf ihrer weißen Stirn an wie ein Geschwür. Schon holte sie aus und schlug Rosaria mit aller Kraft das Glas von den Lippen, sodass es zu Boden fiel und der Rest des Liebestranks zwischen den Pflastersteinen versickerte, die von Blumen bedeckt waren.
Die Wucht des Schlages war so gewaltig, dass Rosaria taumelte. Sie ruderte mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten, sah, wie Giacomo nach ihr griff, um sie zu halten, doch er stand zu weit entfernt, um sie zu erreichen. Rosaria strauchelte, die Beine knickten ihr weg, und sie fiel nach hinten. Noch im Fallen sah sie die Gesichter der Umstehenden, erkannte die ohnmächtige Wut im Antlitz Isabellas, sah den glühenden Hass in ihren Augen, die unversöhnliche Feindschaft, die sie von diesem Augenblick an verfolgen würde. Unerbittlich und gnadenlos. Isabella würde sich an ihr rächen, erbarmungslos rächen für die tiefste Demütigung ihres Lebens, die sie heute auf dem Fest ihrer eigenen Verlobung erfahren hatte.
Endlich schob sich Giacomos Gesicht vor das der Florentinerin, und Rosaria las in seiner Miene eine tiefe, von Herzen kommende Liebe und unendliche Zärtlichkeit. Und während sie fiel, sah sie nicht nur die Liebe des Mannes zu ihr, sie sah auch seine Angst um sie, erkannte, dass sie beide schon jetzt eins waren, durch nichts und niemanden zu trennen, es sei denn vom Tod.
Das alles sah Rosaria im Fallen; die Bilder brannten sich in ihre Netzhaut, und sie wusste, dass sie diese nie vergessen
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