Medaillon des Schicksals (German Edition)
entscheiden können, er hätte sich für die Liebe entschieden. Geld und Ruf, Macht und Ansehen bedeuteten ihm nichts, die Liebe war ihm dagegen alles. Wäre es nach ihm gegangen, er wäre lieber heute als morgen zu Rosaria in den Wagen gezogen und hätte den Rest seines Lebens mit ihr auf staubigen Landstraßen und lauten Marktplätzen verbracht. Er brauchte kein weiches Bett, brauchte keine Turniere, kein Würfelspiel, musste nicht den Burgherrn spielen.
Doch er war nicht frei in seinen Entscheidungen. Rosaria konnte ohne seine Hilfe leben, Donatella und Daria aber waren auf ihn angewiesen.
Einmal noch wollte er sie küssen, einmal noch ihre warmen, weichen Lippen auf den seinen spüren. So wie gestern, als er ihr unter der Esche einen Kuss geraubt hatte, der süßer geschmeckt hatte, süßer und feuriger als der beste Chianti. Fast alles hätte er gegeben für einen zweiten Kuss dieser Art, doch Rosaria war wie vom Erdboden verschwunden. Wo mochte sie nur stecken?
Rosaria war in ihrem Wagen und weinte die bittersten Tränen ihres Lebens. Draußen, vor der Tür, stand Raffael und versuchte, sich mit Rufen und Klopfen Einlass zu verschaffen.
»Rosaria, lass mich herein. Ich habe ein Recht darauf. Wir sind verlobt, sind einander versprochen. Du musst mir erklären, was da unter dem Baldachin geschehen ist. Lass mich rein, ich bestehe darauf.«
»Nein, lass mich allein, bitte«, flüsterte Rosaria kraftlos, und ein neuer Strom von heißen Tränen rann über ihre Wangen.
»Rosaria! Offne die Tür!«, schrie Raffael, und sie hörte, wie er mit dem Stiefel kraftvoll und wütend gegen das dünne Türblatt trat, das unter den Tritten bedrohlich knarzte.
»Raffael, lass Rosaria in Ruhe. Wenn sie jetzt allein sein möchte, so lass sie allein sein.«
Es war die Stimme Ambras, die Raffaels Wüten energisch Einhalt gebot.
»Sie ist mir versprochen«, wetterte der junge Mann, »Und sie ist mir eine Erklärung schuldig. Ihre Liebe gehört mir. Heute und morgen und für immer.«
»Nichts ist sie dir schuldig«, widersprach Ambra. »Sie hat nichts getan, was dich oder deinen Stolz verletzen könnte, sie hat die Treue nicht gebrochen.«
»Und der Liebestrank?« Raffaels Stimme wurde lauter.
»Schrei nichtI«, herrschte Ambra ihn an. »Hat sie etwa selbst nach dem Glas gefasst? Nein, mein Junge. Es wurde ihr an die Lippen gesetzt! Sie konnte nichts dagegen tun. Du weißt es selbst: Einer Olivenhändlerin steht es nicht zu, ein solches Kompliment von einem Adligen zurückzuweisen!«
»Aber sie hat davon getrunken!«
»Na, und? Wäre dir lieber, sie wäre daran erstickt? Du selbst weißt am besten, wie ein solcher Trank wirkt.«
»Er verstärkt die Liebe, wo sie vorhanden ist, doch fehlt sie, kann er nichts ausrichten«, äffte Raffael, noch immer wütend, die Worte Rosarias nach.
»Na also, was willst du?«, fragte Ambra.
Raffael knurrte, versetzte der Tür noch einen leichten Tritt, und dann hörte Rosaria, wie er sich leise schimpfend, aber schon um einiges besänftigt, von dem Wagen entfernte.
Noch immer waren ihre Augen voller Tränen, und ihr Herz hatte sich schmerzhaft in der Brust zusammengezogen.
Sie liebte und wurde wieder geliebt, das wusste sie nun. Doch wie schrecklich hatte es das Schicksal mit ihr gemeint: den Liebsten zu finden, um ihn ihr sogleich wieder zu nehmen.
Was hatte sie Schlimmes getan, um ein solch grausames Los erleiden zu müssen? Wofür wurde sie so erbarmungslos bestraft?
Wieder klopfte es an die Tür des Wagens. Diesmal war es Ambra, die leise rief: »Rosaria, öffne mir. Es hilft nichts, wenn du dich versteckst und uns alle meidest. Offne die Tür, mein Kind, und lass uns miteinander reden.«
Rosaria seufzte. Sie dachte an Paola. Wie gern hätte sie sich jetzt in die Arme der Mutter geschmiegt! Wie gern hätte sie sich an ihrem Busen ausgeweint! Doch Paola war tot, und draußen stand Ambra, die ihr Hilfe und Trost anbot.
Langsam und noch immer schluchzend, stand Rosaria von ihrem Lager auf und öffnete die Tür.
Sie hörte Ambra erleichtert aufatmen und wurde schon von der alten Frau in die Arme genommen. Die Wärme und das Verständnis, die Rosaria entgegenschlugen, ließen sie alle Beherrschung fahren lassen. Als wären sämtliche Himmelsschleusen geöffnet worden, so stürzten die Tränen nun unaufhaltsam aus Rosarias Augen, rannen ihr heiß über die Wangen und versickerten schließlich in Ambras Kleid.
»Weine nur, weine, meine kleine Rosaria. Weinen erleichtert«,
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