Media Control
übertrafen: Die Behauptung, der Westen habe zu den Massakern der Roten Khmer geschwiegen, wurde, allen Tatsachen zum Trotz, zur Standarddoktrin erhoben. 19 Das diente u.a. dem Zweck, den Eindruck hervorzurufen, daß wir in Zukunft noch viel aufmerksamer auf Verbrechen offizieller Feinde reagieren müßten. Auch die Voraussagen dritter Ordnung bestätigten sich: Unsere Erörterung der kambodschanischen Verhältnisse unter Pol Pot rief einen Proteststurm hervor. 20 Meines Wissens fehlte den Verdammungsurteilen jedoch jegliche Substanz, was in der wissenschaftlichen Literatur nicht unbemerkt blieb; 21 jedenfalls bin ich mir in dem, was Herman und ich damals schrieben, keines Irrtums, keiner irreführenden Behauptung bewußt. 22 Interessanter ist jedoch eine andere Reaktion, die unser ganzes Unternehmen als illegitim zu diskreditieren suchte. Viele hielten es für unangemessen, gar für unmenschlich, daß wir die Forderung erhoben, in der Auseinandersetzung mit Pol Pots Verbrechen so dicht wie möglich an der Wahrheit zu bleiben oder aufzuzeigen, in welcher Weise das Schicksal der Opfer für Propagandazwecke ausgebeutet wurde.
Bezeichnenderweise blieb unsere Diskussion der Medienreaktion auf die Massaker in Ost-Timor nahezu unbeachtet. Auch dies ist eine Bestätigung der Voraussage dritter Ordnung und damit des gesamten Propaganda-Modells.
Untersuchen wir nun die Logik der Reaktion, der zufolge es unangemessen und unmenschlich ist, die Erfindungen des ideologischen Systems in bezug auf die Greueltaten Pol Pots offenzulegen. Es ist entweder legitim oder nicht legitim, das ideologische System der USA zu untersuchen. Wenn es legitim ist, läßt sich das Propaganda-Modell als Hypothese formulieren und an Beispielpaaren wie etwa der Berichterstattung über Kambodscha und Ost-Timor testen. Nun behaupten Kritiker, es sei nicht legitim, den Umgang der Medien mit Kambodscha zu analysieren. Wenn nun dieser Fall nicht irgendwelche (bislang ungeklärten) Besonderheiten aufweist, folgt aus der Kritik, daß es nicht legitim ist, das ideologische System der USA zu untersuchen. Die so überaus unehrliche Reaktion unterstreicht nur, was ohnehin evident ist: Das Recht des ideologischen Systems, dem Staat zu dienen, muß geschützt werden, daher verbietet sich eine Analyse auf Grundlage der Hypothese, seine gesellschaftliche Funktion liege in der Dienstbarkeit äußeren Mächten gegenüber. Eine glasklare Logik.
Bestätigt wird diese Logik durch den Umstand, daß sich keine Einwände erheben, wenn falsche oder irreführende Berichte über Greueltaten der Vereinigten Staaten und ihrer Vasallen aufgedeckt werden. Nur bei falschen Angaben über Massaker offizieller Feinde dürfen keine Korrekturen nach unten vorgenommen werden.
Als dies im Falle Kambodschas geschah, gab es einen allgemeinen Aufschrei, doch regte sich niemand, als falsche Anschuldigungen gegen Israel zurückgenommen wurden, weil es sich hierbei um eine lobenswerte Bemühung handelte.
Weitere Beispiele bestätigen diese Logik. Ich möchte bezweifeln, daß die New York Times Review of Books jemals eine längere und detailliertere Untersuchung veröffentlicht hat als Neil Sheehans Analyse des 1970 erschienenen Buchs von Mark Lane, Conversations With Americans. 23 Lane dokumentierte Aussagen amerikanischer Soldaten über Kriegsverbrechen, an denen sie, wie sie sagten, teilgenommen hatten. Sheehan zerpflückte dieses »bösartige Buch« nach Strich und Faden, weil es seiner Meinung nach Ungenauigkeiten und falsche, irreführende oder widersprüchliche Darstellungen enthielt, die seine Glaubwürdigkeit untergraben würden, und er griff Lane scharf an, weil dieser angeblich behauptete, es komme nicht auf die Einzelheiten an, sondern auf die Gesamtdarstellung. Bei den Massakern von Pol Pot aber war es offenbar gleichgültig, wie viele Opfer die Herrschaft der Roten Khmer gekostet hatte.
Ein weiterer Fall ist Bertrand Russell, der den Mut hatte, den Vietnamkrieg zu einer Zeit zu verurteilen, als dies noch nicht Mode geworden war. 24 Noch aus heutiger Sicht gibt es an seinen Kommentaren, vergleicht man sie mit den Lügen, Ausflüchten und apologetischen Bemühungen jener Zeit, wenig auszusetzen, auch wenn manches, was er behauptete, ungerecht oder übertrieben war. Daran Kritik zu üben wäre angemessen gewesen. Statt dessen schlugen ihm Verachtung und Verleumdung entgegen, und nur wenige Stimmen erhoben sich zu seiner Verteidigung, was auch mit seinem Engagement gegen den
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