Medicus 01 - Der Medicus
Gebäude. Es konnte sich nur um King's House handeln, denn es war von Truppenbaracken und Nebengebäuden umgeben, von denen Rob annahm, dass dort allerlei Staatsgeschäfte abgewickelt wurden. Er sah die schreckenerregenden Gardesoldaten, von denen in jedem Wirtshaus mit Ehrfurcht gesprochen wurde. Es handelte sich um riesige dänische Kerle, die wegen ihrer Größe und Kraft für König Knuts persönlichen Schutz ausgesucht worden waren. Nach Robs Meinung waren es freilich zu viele bewaffnete Wachen für einen von seinem Volk geliebten Monarchen. Er kehrte in die Stadt zurück und befand sich schließlich, ohne zu wissen, wie er dorthin gelangt war, vor der St.-Pauls-Kathedrale, als ihm jemand die Hand auf den Arm legte.
»Ich kenne dich. Du bist Cole.«
Rob blickte den Jungen an, war einen Augenblick lang wieder neun Jahre alt und wusste nicht, ob er kämpfen oder davonlaufen soll, denn es war unverkennbar Anthony Tite.
Aber Tite lächelte, und er hatte auch offensichtlich keine Gefolgsleute bei sich. Außerdem bemerkte Rob, dass er jetzt um drei Köpfe größer und um vieles kräftiger war als sein alter Feind. Er schlug Tony auf die Schulter und freute sich plötzlich, ihn wiederzusehen, so als wären sie als kleine Jungen die besten Freunde gewesen.
»Komm mit in eine Kneipe und erzähl mir von dir!« forderte Anthony ihn auf, doch Rob zögerte, denn er besaß nur die zwei Pence, die ihm der Kaufmann Bostock für das Jonglieren geschenkt hatte.
Anthony Tite verstand. »Ich lade dich auf einen Drink ein. Ich habe das ganze vergangene Jahr gearbeitet.«
Er sei Zimmermannslehrling, erzählte er Rob, als sie in der Ecke eines neuen Wirtshauses saßen und Ale tranken. »In der Sägegrube«, setzte er hinzu, und Rob bemerkte, dass seine Stimme heiser klang und seine Haut blaß war.
Rob kannte diese Arbeit. Ein Lehrling stand in einer tiefen Grube, über die quer ein Balken gelegt wurde. Der Lehrling zog an einem Ende der langen Säge und atmete den ganzen Tag das Sägemehl ein, das auf ihn herunterrieselte, während ein Tischlergeselle auf dem Rand der Grube stand und die Säge von oben führte.
»Mit den schlechten Zeiten für Zimmerleute scheint es zu Ende zu sein«, sagte Rob. »Ich war im Zunfthaus und habe nur wenige Männer gesehen, die beschäftigungslos herumlungerten.«
Tite nickte. »London wächst. Die Stadt hat schon hunderttausend Einwohner; ein Achtel aller Engländer lebt hier. Überall wird gebaut, pie Chancen stehen gut, als Lehrling in die Zunft aufgenommen zu werden, denn es geht das Gerücht, dass bald eine weitere Hundertschaft aufgestellt wird. Du bist doch der Sohn eines Zimmermanns...«
Rob schüttelte den Kopf. »Ich habe schon eine Lehrstelle.« Er erzählte von seinen Reisen mit dem Bader und sah befriedigt den Neid in Anthonys Augen.
Tite erwähnte Samuels Tod. »Ich habe meine Mutter und zwei Brüder in den letzten Jahren verloren, alle durch die Pocken, und meinen Vater durch ein Fieber.«
Rob nickte düster. »Ich muss meine Geschwister finden, die noch am Leben sind. In jedem Haus, an dem ich in London vorbeikomme, kann das letzte Kind leben, das meine Mutter geboren hat, bevor sie starb, und das Richard Bukerei zugesprochen wurde.«
»Vielleicht weiß Bukereis Witwe darüber Bescheid.« Rob richtete sich auf.
»Sie hat wieder geheiratet, einen Gemüsehändler namens Buffington. Ihr neues Heim liegt nicht weit von hier.
Gleich hinter Ludgate«, sagte Anthony.
Das schäbige Haus der Buffingtons stand am Rand der ordentlich mit Kohl und Salat bebauten Felder, die von einem nicht entwässerten Sumpf umgeben waren. Rob fand Mistress Buffington im Haus, und sie begrüßte ihn. »Ich erinnere mich an dich und deine Familie«, sagte sie und musterte ihn wie ein erlesenes Gemüse.
Doch als er nach Roger fragte, konnte sie sich nicht mehr erinnern, ob ihr erster Mann jemals den Namen oder den Wohnsitz der Amme erwähnt hatte, die das Kind aufgenommen hatte.
»Hat denn niemand den Namen aufgeschrieben?«
»Ich kann nicht schreiben. Warum hast du dir den Namen nicht geben lassen und aufgeschrieben? Ist es nicht dein Bruder?«
Er fragte sich, ob dergleichen von einem Jungen in seiner Lage verlangt hätte werden können, doch er wusste, dass sie eher recht als unrecht hatte.
Er dachte wehmütig an Bukerei, erinnerte sich an die schreckliche Selbstgerechtigkeit, die knauserige Nächstenliebe seiner Frau und daran, dass sie ihn als Unfreien verkauft hätte.
Er starrte sie kalt
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