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Medicus 02 - Der Schamane

Titel: Medicus 02 - Der Schamane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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unhöflich war, doch Miriam Ferocia beantwortete sie ihm trotzdem: »Als ich noch der Welt angehörte, hieß ich Andrea.« Sie stand auf und holte ein Buch vom Regal. »Das interessiert dich vielleicht«, sagte sie. »Es ist von David Ricardo, einem englischen Ökonomen.« In dieser Nacht blieb Shaman lange wach, um das Buch zu lesen. Einiges darin war schwierig zu verstehen, doch er begriff, dass Ricardo für den freien Handel zwischen den einzelnen Staaten eintrat, und das war etwas, worauf auch die Südstaaten bestanden. Als er schließlich einschlief, sah er Christus am Kreuz. In seinem Traum verfolgte er, wie die lange, gebogene Nase kürzer und breiter wurde. Die Haut wurde dunkler und röter, die Haare färbten sich schwarz. Weibliche Brüste entwickelten sich, mit dunklen Warzen und runenähnlichen Symbolen. Die Stigmata erschienen. Im Schlaf wusste Shaman, ohne zu zählen, dass es elf Wunden waren, und während er hinsah, quoll Blut aus ihnen, das am Körper hinablief und schließlich von Makwas Füßen tropfte.

Briefe und Notizen
    Neunundvierzig Lämmer warfen die Mutterschafe der Coles im Frühjahr 1860, und die ganze Familie half bei den schwierigen Geburten und anschließend beim Kastrieren mit. »Die Herde wird jedes Frühjahr größer«, sagte Alden zu Rob J. mit einer Mischung aus Stolz und Besorgnis. »Sie werden sich überlegen müssen, was wir mit der Menge anfangen sollen.«
    Viele Möglichkeiten hatte Rob J. nicht. Schlachten konnten sie nur einige wenige. Ihre Nachbarn hatten kaum Bedarf an zusätzlichem Fleisch, denn die züchteten ihre eigenen Tiere, und bevor man es zum Verkauf in die Stadt bringen konnte, verdarb das Fleisch. Lebendige Tiere konnten transportiert und verkauft werden, aber das war kompliziert und erforderte Zeit, Arbeit und Geld. »Insgesamt gesehen, bringt die Wolle am meisten ein«, sagte Rob J. »Das beste wird es sein, wir behalten die Tiere und verkaufen ihre Wolle, so wie es meine Familie in Schottland immer getan hat.«
    »Hm. Dann werden wir mehr Arbeit haben als je zuvor. Und dann werden wir wohl eine Hilfe brauchen«, sagte Alden verlegen, und Shaman fragte sich, ob Alex ihm wohl anvertraut hatte, dass er davonlaufen wolle. »Doug Penfield wäre bereit, stundenweise für Sie zu arbeiten. Hat er mir selber gesagt.«
    »Glauben Sie, dass er ein guter Arbeiter ist?«
    »Sicher ist er das, er kommt aus New Hampshire. Das ist zwar nicht ganz so, als würd’ er aus Vermont kommen, aber fast so gut.« Rob J. stimmte ihm bei, und Doug Penfield wurde eingestellt.
    In diesem Frühjahr freundete sich Shaman mit Lucille Williams an, der Tochter des Hufschmieds Paul Williams. Lucille hatte einige Jahre lang die Schule in Holden’s Crossing besucht und bei Shaman das Rechnen gelernt. Inzwischen war sie eine junge Frau geworden. Ihre blonden Haare, die sie zu einem großen Knoten zusammengebunden hatte, waren zwar fahler als die weizenblonden Mähnen der schwedischen Mädchen seiner Träume, aber sie hatte ein hübsches Gesicht und lachte gern. Sooft er sie im Ort traf, blieb er stehen, um sich mit ihr wie mit einer alten Freundin zu unterhalten und sie nach ihrer Arbeit zu fragen. Lucille teilte ihre Zeit zwischen der Pferdebetreuung im Mietstall ihres Vaters und der Mithilfe in Roberta’s Women’s Wear, dem Damenbekleidungsgeschäft ihrer Mutter an der Hauptstraße. Diese Aufteilung gewährte ihr eine gewisse Unabhängigkeit und Freiheit, denn wenn sie in einem Geschäft fehlte, nahm der betroffene Elternteil an, dass sie im anderen arbeite. Als Lucille deshalb Shaman bat, ihr am folgenden Tag um zwei Uhr nachmittags etwas Landbutter zu bringen, war er nervös und aufgeregt.
    Sie schärfte ihm ein, sein Pferd vor den Geschäften an der Hauptstraße festzubinden, an der Ecke in die Illinois Avenue einzubiegen und hinter der hohen Fliederhecke, damit man ihn nicht sähe, durch den Garten der Reimers zu schleichen. Über den Lattenzaun in den Hinterhof der Williams und von dort bis zur Hintertür sei es dann ein kurzer Weg.
    »Damit die Nachbarn nicht... du weißt schon, auf falsche Gedanken kommen«, sagte sie und senkte den Blick. Es überraschte ihn nicht, schließlich hatte Alex ihr schon im Jahr zuvor Butter geliefert und ihm dann entsprechend berichtet, aber er hatte gewisse Bedenken: Er war ja nicht Alex.
    Am nächsten Tag, der Flieder der Reimers stand in voller Blüte, war der Zaun leicht zu überklettern, und die Hintertür öffnete sich schon nach seinem ersten

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