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Medicus 02 - Der Schamane

Titel: Medicus 02 - Der Schamane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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dann Kühneres, zuletzt »Scots Wha’Hae Wz’ Wallace Bled«. Die Behörden kennen Rob J.s Pamphlet und haben Vorkehrungen getroffen. Bewaffnete Polizei ist anwesend, Miliz, das 1. Bataillon der Rifle Brigade und die gut ausgebildeten Kavalleriesoldaten des 7. und des 10. Husarenregiments, alles Veteranen der Kriege auf dem Festland. Die Soldaten tragen prächtige Uniformen. Die hohen, polierten Stiefel der Husaren funkeln wie dunkle Spiegel. Die Soldaten sind jünger als die Polizisten, aber in ihren Gesichtern spiegelt sich die gleiche verhärtete Verachtung. Die Unruhen beginnen, als Rob J.s Freund Andrew Gerould aus Lanark eine Rede hält und über die Zerstörung der Farmen spricht sowie über den zum Leben nicht ausreichenden Hungerlohn der Männer für eine Arbeit, die England immer reicher macht und Schottland immer ärmer. Während Andrew sich in Rage redet, fangen die Männer an, ihrem Zorn lautstark Luft zu machen und zu schreien: »Freiheit oder Tod!« Die Berittenen drängen die Demonstranten mit ihren Pferden von dem Zaun weg, der die Stahlhütte umgibt. Jemand wirft einen Stein. Er trifft einen Husaren, der aus dem Sattel stürzt. Sofort ziehen die anderen Berittenen rasselnd ihre Säbel, und in einem Hagel von Steinen stürzen weitere Soldaten zu Boden. Dunkles Blut befleckt das Blau, Rot und Gold der Uniformen. Die Miliz beginnt zu feuern. Die Kavalleristen hauen mit ihren Säbeln auf die Demonstranten ein. Die Männer schreien und weinen. Rob J. ist eingeklemmt. Er kann nicht fliehen. Er kann sich nur von der Masse, die die wütend heranstürmenden Soldaten vor sich hertreiben, mitschleifen lassen, und er muss darauf achten, nicht zu stolpern, denn er weiß, wenn er stürzt, trampelt die entsetzt davonstürmende Menge ihn nieder.
    Der zweite Traum ist noch schlimmer.
    Wieder befindet er sich inmitten einer großen Versammlung. So viele Leute wie vor der Stahlhütte, aber diesmal sind es Männer und Frauen, die um acht Galgen stehen. Sie ragen vor dem Stirling Castle in den Himmel, und die Menge wird von Miliz in Schach gehalten. Ein Priester, Dr. Edward Bruce aus Renfrew, sitzt auf einem Stuhl und liest schweigend. Ihm gegenüber hockt ein Mann in Schwarz. Rob J. erkennt ihn, kurz bevor er sein Gesicht hinter einer schwarzen Maske verbirgt. Er heißt Bruce Irgendwer und ist ein verarmter Medizinstudent, der fünfzehn Pfund für den Henkersdienst erhält. Dr. Bruce stimmt den einhundertdreißigsten Psalm an: »Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir.« Jeder der Verurteilten erhält, wie es der Brauch ist, ein Glas Wein und wird dann zu dem Podest geführt, wo acht Särge bereitstehen. Sechs Gefangene ziehen es vor, nichts mehr zu sagen. Ein Mann namens Hardie lässt den Blick über das Meer von Gesichtern schweifen und sagt mit gedämpfter Stimme: »Ich sterbe als Märtyrer für die Gerechtigkeit.« Andrew Gerould dagegen spricht laut und deutlich. Er wirkt müde und älter als seine dreiundzwanzig Jahre. »Meine Freunde, ich hoffe, von euch ist keiner verletzt. Wenn dies vorbei ist, geht bitte still nach Hause und lest in eurer Bibel.« Dann werden ihnen die Augen verbunden. Zwei der Männer rufen noch etwas zum Abschied, während man ihnen die Schlingen um den Hals legt. Andrew sagt nichts mehr. Auf ein Signal hin geschieht es, und fünf sterben ohne Todeskampf. Drei zappeln noch eine Weile. Andrews Neues Testament fällt aus seinen tauben Fingern in die schweigende Menge. Nachdem man die Leichen abgeschnitten hat, trennt der Henker die Köpfe mit einer Axt ab, hält jedes der schauerlichen Objekte an den Haaren hoch und ruft, wie das Gesetz es befiehlt: »Das ist der Kopf eines Verräters!«
    Manchmal, wenn Rob J. aus einem solchen Traum aufwachte, lag er in seinem schmalen Bett unter den Dachsparren und tastete sich ab, zitternd vor Erleichterung, dass er noch am Leben war. Dann starrte er in die Dunkelheit und fragte sich, wie viele Menschen wohl nicht mehr unter den Lebenden waren, weil er dieses Pamphlet geschrieben hatte. Wie viele Schicksale hatten sich geändert, wie viele Leben waren ausgelöscht worden, weil er so viele Menschen mit seiner Überzeugung beeinflusst hatte. Die landläufige Moral besagte, Überzeugungen seien es wert, dass für sie gekämpft oder gestorben werde. Wenn man aber alles gründlich überlegte, war dann nicht das Leben der einzige kostbare Besitz, den ein menschliches Wesen hatte? Und war er als Arzt denn nicht verpflichtet, vor allen Dingen das Leben zu schützen

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