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Medicus 02 - Der Schamane

Titel: Medicus 02 - Der Schamane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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schweren Blutungen bedeuteten. Der Darm war durch den Typhus siebartig durchlöchert worden, und der Zustand würde nur noch schlimmer werden. Rob J. würde nicht mehr lange durchhalten. »Ich könnte Ihnen etwas Dover’s Powder dalassen«, schlug Dr. Barr vor. Dover’s Powder war eine Mischung aus Brechwurz und Opium. Rob J. schüttelte den Kopf, und der Arzt begriff, dass sein Patient so lange wie möglich bei Bewusstsein bleiben wollte. Für Dr. Barr war es natürlich leichter, wenn ein Patient ahnungslos war und er Hoffnung vortäuschen konnte, indem er eine Medizin verabreichte und Vorschriften für die weitere Einnahme gab. Er tätschelte Rob J.s Schulter und ließ seine Hand kurz dort liegen. »Ich schaue morgen wieder vorbei«, sagte er mit erzwungener Gefasstheit. Doch in seinen Augen stand tiefes Bedauern.
    »Können wir Ihnen nicht auf eine andere Weise helfen?« wandte sich Miriam Ferocia an Sarah. Sarah sagte, sie sei Baptistin, doch die drei Frauen knieten sich im Flur vor dem Krankenzimmer auf den Boden und beteten gemeinsam. An diesem Abend dankte Sarah den Nonnen und schickte sie fort.
    Rob J. blieb bis gegen Mitternacht ruhig. Dann verlor er etwas Blut. Er hatte Sarah verboten, einen Priester kommen zu lassen, doch jetzt fragte sie ihn noch einmal, ob er nicht doch mit Reverend Blackmer sprechen wolle.
    »Nein, ich schaffe es genausogut wie Ordway«, sagte er laut und deutlich.
    »Wer ist Ordway?« fragte sie, doch Rob J. schien zu müde zu sein, um zu antworten.
    Sie setzte sich an sein Bett. Er streckte die Hand aus, und sie nahm sie, dann fielen beide in einen leichten Schlaf. Kurz vor zwei Uhr nachts wachte sie auf und spürte sofort, wie kühl seine Hand war. Eine Zeitlang blieb sie bei ihm sitzen, dann zwang sie sich aufzustehen. Sie schraubte die Lampen hoch und wusch ihn zum letzten Mal, um die Spuren der letzten großen Blutung zu tilgen, die sein Leben fortgeschwemmt hatte. Sie rasierte ihn und tat all die Dinge, die er ihr bei anderen so oft gezeigt hatte, und dann zog sie ihm seinen besten Anzug an. Er war ihm jetzt zu groß, doch das spielte keine Rolle mehr. Als gewissenhafte Arztfrau wickelte sie die Tücher, die zu blutig waren, um noch ausgekocht zu werden, in ein Laken, um sie später zu verbrennen. Dann erhitzte sie Wasser für ein Bad und schrubbte sich mit Kernseife ab. Ihre Tränen vermischten sich mit der schaumigen Brühe. Bei Tagesanbruch saß sie in ihren Sonntagskleidern in einem Sessel neben der Küchentür. Als sie hörte, wie Alden das Scheunentor aufstieß, ging sie hinaus, um ihm zu sagen, dass ihr Mann gestorben sei, und ihn mit einer Nachricht zum Telegraphenbüro zu schicken, in der sie ihren Sohn Shaman bat, nach Hause zu kommen.

Sechster Teil
Der Landarzt
2. Mai 1864

Ratgeber
    Als Shaman aufwachte, wurde er von zwei sehr gegensätzlichen Empfindungen bewegt: der Trauer über den Tod seines Vaters und dem Gefühl der Geborgenheit. Es war, als habe man ihm hier einen Platz freigehalten, den er jetzt so selbstverständlich wieder einnahm, als wäre er nie weggewesen. Das leichte Erbeben des Hauses, wenn ein plötzlich aufkommender Wind von der Prärie hereinfegte, war ihm ebenso vertraut wie der raue Stoff der Bettwäsche auf seiner Haut, die Frühstücksdüfte, die die Treppe heraufstiegen und ihn nach unten lockten, und das Glitzern der heißen, gelben Sonne in den Tautropfen auf dem Gras. Als er das Aborthäuschen verließ, überlegte er kurz, ob er zum Fluss hinunter gehen solle, doch es würde noch mehrere Wochen dauern, bis das Wasser warm genug zum Schwimmen war. Als er zum Haus zurückkehrte, kam Alden aus der Scheune und hielt ihn auf. »Wie lange wirst du bleiben, Shaman?«
    »Ich weiß es noch nicht, Alden.«
    »Ich frage, weil eine Menge Rainhecken zu pflanzen sind. Doug Penfield hat die Ränder schon gepflügt, aber nach dem, was alles passiert ist, sind wir mit den Frühlingslämmern und einem Dutzend anderer Arbeiten in Verzug. Ich könnte deine Hilfe beim Dornheckenpflanzen brauchen. Würde vielleicht vier Tage dauern.« Shaman schüttelte den Kopf. »Nein Alden, ich kann nicht.« Als er die Verärgerung auf dem Gesicht des alten Mannes sah, fühlte er sich verpflichtet, eine Erklärung für seine Weigerung zu geben, doch er ließ es sein. Alden betrachtete ihn noch immer als den jüngeren Sohn vom Boss, dem man Aufträge erteilte, als den Tauben, der kein so guter Farmarbeiter war wie Alex. Shamans Ablehnung signalisierte eine Veränderung in

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