Medicus 02 - Der Schamane
auf seine Aufgabe, die Patientin vor sich und den Lithotripter in seiner Hand. Der Stein... Mein Gott! Er spürte sofort, wie groß er war. Etwa so groß wie sein Daumennagel, schätzte er, während er den Lithotripter mit äußerster Vorsicht handhabte. Um festzustellen, ob der Stein sich bewegen ließ, umschloss er ihn fest mit den Backen der Zange, doch als er nur ganz sanft an dem Instrument zog, öffnete die Frau auf dem Tisch den Mund und schrie auf. »Ich habe den größten Stein«, sagte er ruhig. »Aber er ist zu groß, um ihn in einem Stück herauszubekommen, ich versuche, ihn deshalb zu zerbrechen.« Noch während er sprach, bewegten sich seine Finger zu der Schraubenmutter am Ende des Instruments. Es war, als würde jede Umdrehung der Schraube auch die Spannung in ihm erhöhen, denn er wusste, wenn der Stein nicht zerbrach, stand es schlecht um die Frau. Doch er hatte Glück, und nach einigen weiteren Umdrehungen war ein dumpfes Knirschen zu hören, ein Geräusch, als zertrete jemand eine Tonscherbe unter dem Stiefelabsatz.
Der Stein zerbrach in drei Teile. Obwohl er sehr behutsam vorging, tat er Sarah Bledsoe weh, als er den ersten entfernte. Makwa-ikwa benetzte ein Tuch und wischte der Patientin den Schweiß vom Gesicht. Rob J. griff nach Sarahs geballter Faust, öffnete die Finger und legte ihr das Bruchstück des Steins in die weiße Hand. Es war ein hässliches Ding, braun und schwarz. Das eine Fragment war glatt und eiförmig, doch die beiden anderen war unregelmäßig geformt, mit nadelfeinen Spitzen und scharfen Kanten. Als Sarah schließlich alle drei Stücke in der Hand hielt, führte er wieder einen Katheter ein und spülte die Blase. Sie schied eine große Menge Kristalle aus, die sich beim Brechen vom Stein gelöst hatten.
Sarah Beldsoe war erschöpft. »Das reicht jetzt«, sagte er. »Sie haben noch einen Stein in der Blase, aber der ist nur klein und dürfte leicht zu entfernen sein. Den holen wir ein andermal.«
Innerhalb einer Stunde begann sie, vor Fieber zu glühen, was die Folge fast jedes chirurgischen Eingriffs ist. Sie flößten ihr Flüssigkeit ein, unter anderem auch Makwa-ikwas sehr wirkungsvollen Weidenrindentee. Am nächsten Morgen war Sarah immer noch leicht fiebrig, doch so kräftig, dass sie sie nach Hause bringen konnten. Rob J. wusste, wie wund und entzündet sie war, doch sie ließ die holprige Fahrt klaglos über sich ergehen. Das Fieber war noch nicht ganz aus ihren Augen verschwunden, es war aber auch ein neues Leuchten in ihnen, das er als Hoffnung erkannte.
Ein paar Tage später lud Nick Holden ihn aufs neue zur Geißenjagd ein, doch Rob J. nahm nur widerwillig an. Diesmal fuhren sie mit einem Schiff Flussaufwärts nach Dexter, wo in einer Taverne die LaSalle-Schwestern auf sie warteten. Nick nahm sich die jüngere, attraktivere Polly, und Rob J. musste sich mit Lydia begnügen, einer ältlichen Frau mit verbittertem Blick und einer Oberlippe, auf der auch eine dicke Schicht Reispuder den dunklen Schnurrbart nicht verbergen konnte. Lydia zeigte deutlich ihre Verärgerung, als Rob J. auf Kernseife, Wasser und dem Gebrauch von Old Horny bestand, aber sie erledigte ihren Teil der Transaktion mit professioneller Schnelligkeit. In dieser Nacht lag er neben ihr in einem Zimmer, in dem noch schwach die Dünste früherer bezahlter Leidenschaften hingen, und fragte sich, was er hier eigentlich tat. Aus dem angrenzenden Zimmer kamen wütende Stimmen, das heisere Schreien einer Frau und hässliche, aber unverkennbare Schlaggeräusche.
»Mein Gott!« Rob J. hämmerte gegen die dünne Wand. »Nick! Ist alles in Ordnung?«
»Alles bestens. Verdammt, Cole. Jetzt schlafen Sie doch endlich! Oder tun Sie, was Sie wollen. Haben Sie verstanden?« rief Holden zurück, und seine Stimme war belegt vom Whiskey und vor Verärgerung. Beim Frühstück am nächsten Morgen hatte Polly eine rote Schwellung auf der linken Gesichtshälfte. Nick musste ihr die Schläge gut bezahlt haben, denn ihre Stimme klang beim Abschied trotzdem freundlich. Auf der Rückfahrt ließ sich eine Erwähnung des Vorfalls nicht vermeiden. Nick legte Rob J. die Hand auf den Arm. »Manchmal wollen’s die Frauen ein bisschen brutal - das wissen Sie doch, oder? Die lechzen richtig danach, das bringt sie erst in Schwung.« Rob betrachtete ihn schweigend, und er wusste plötzlich, dass das seine letzte Geißenjagd gewesen war. Einen Augenblick später nahm Nick die Hand von Robs Arm und begann, ihm von der
Weitere Kostenlose Bücher